Die Feuerwehrleute mussten aufgeben, die gigantische Feuersbrust war nicht zu bändigen. In heller Panik appellierte Libyens Premierminister am Montag an das Ausland, Löschflugzeuge und Spezialistenteams zu schicken. In Tripolis stehen sechs Millionen Liter Treibstoff in Flammen, nachdem Rebellen am Sonntagabend ein Tanklager nahe der Ausfallstraße zum Flughafen mit einer Grad-Rakete getroffen hatten. „Tripolis droht eine humanitäre und ökologische Katastrophe“, warnte die Regierung und beschwor alle Bewohner im Umkreis von fünf Kilometern, ihre Häuser zu räumen. Denn sollten die Hunderte Meter hohen Flammen auf das gesamte Großlager mit 90 Millionen Litern Benzin, Diesel und Gas übergreifen, „besteht das Risiko einer gigantischen Explosion, die alles im Radius von drei bis fünf Kilometern zerstört“, erklärte ein Sprecher der staatlichen „National Oil Corporation“.
Sämtliche Flughäfen jedoch, über die internationale Hilfe hereinkommen könnte, sind seit zwei Wochen geschlossen. Selbst im Umkreis der brennenden Kessel wurde weitergekämpft. „Hört auf zu schießen, sonst fliegt alles in die Luft“, flehte das Kabinett in einer eilig verbreiteten „Presseerklärung“ und forderte sämtliche Feuerwehren der Region auf, zum Brandort zu kommen. Besonders schwer beschädigt ist der Airport von Tripolis, der quasi zum Symbol des Staatszerfalls geworden ist.
Die Landebahn ist durch Artillerieduelle zerfetzt, ausgebrannte Passagiermaschinen liegen auf dem Rollfeld, Kontrolltower und Empfangsgebäude wurden durch Granaten schwer beschädigt. Allein letzte Woche kamen mehr als hundert Menschen ums Leben. 400 wurden bei diesen blutigsten Gefechten seit dem Sturz von Diktator Muammar al-Gaddafi verletzt.
Zahlreiche westliche Botschaften, darunter auch Deutschland, evakuierten ihr Personal über den Landweg nach Tunesien, nachdem die Gefechte vor allem im Umkreis der amerikanischen Botschaft pausenlos geworden waren. Der britische Konvoi wurde auf dem Weg zur Grenze angegriffen und beschossen, die Diplomaten konnten jedoch unverletzt entkommen. Kairos Regierung rief ihre Landsleute auf, Libyen sofort zu verlassen und „sich vor den chaotischen inneren Kämpfen in Sicherheit zu bringen“.
Auch in der Osthälfte des ölreichen Mittelmeeranrainers gingen am Wochenende die schweren Gefechte weiter. Allein in Benghazi, der einstigen Heldenstadt im Kampf gegen Gaddafi, wurden mindestens 55 Menschen getötet. Vor allem seit dem Auftreten des abtrünnigen Generals Khalifa Haftar vor drei Monaten, der die Macht der Islamisten mit Gewalt zu brechen versprach, ist die Lage eskaliert. Haftar agiert von einer streng bewachten Kaserne in Benghazi aus, die auch über Kampfjets verfügt. Die radikal-islamische Ansar al-Sharia Miliz wiederum hält sich in verschiedenen Stadtvierteln sowie in zahlreichen kleineren Küstenstädten verschanzt. Keine der beiden Seiten konnte bisher die Oberhand gewinnen.
„Die Lage hat ein kritisches Stadium erreicht“, warnten Diplomaten der Arabischen Liga, der Europäischen Union und der USA in einer gemeinsamen Erklärung in Brüssel. Denn die wirklichen Herren in Libyen sind längst die Chefs der etwa 1700 Milizen, die über 200 000 Bewaffnete kommandieren. Politische Morde häufen sich ebenso wie Entführungen gegen Lösegeld.
Ende letzten Monats wurde in Benghazi die säkulare Bürgerrechtlerin Salwa Bughaighis vor ihrem Haus ermordet, die im Februar 2011 als einzige Frau im ersten Nationalen Übergangsrat der Aufständischen saß. Ihre drei Kinder blieben unverletzt. Von ihrem Mann, den die islamistischen Täter entführten, fehlt weiterhin jede Spur.