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FINIKOUNDA
Griechenland wartet auf Urlauber
Von unserem Redaktionsmitglied Gisela Schmidt
 |  aktualisiert: 11.12.2019 20:19 Uhr

Die Sonne hat dem Meer ein Glitzerkleid spendiert. Im Hafen schaukeln Fischerboote. Der Wind schlägt die ausländischen Zeitungen auf, die der Gemischtwarenhändler vor seinem Laden ausgehängt hat. Selbst hier, im Süden des Peloponnes, in der beschaulichen griechischen Provinz Messenien ist in den Zeitungen zu lesen, die Griechen seien wütend auf die Deutschen. Dem alten Mann mit dem weißen Bart ist egal, was die Zeitungen schreiben.

Er steht in der Apotheke von Methoni und ist verzweifelt. Zehn Prozent Selbstbeteiligung hat er bislang für seine Medikamente bezahlt. Nun sind es 25 Prozent. Und die Tabletten, die er täglich braucht, sind doppelt so teuer wie noch 2011. Statt einer Pille könne er sich nur noch eine halbe leisten, ruft der Mann, schließlich sei seine kleine Rente schon zwei Mal gekürzt worden. „Soll ich sterben, nur weil ich arm bin?“ „Siga, siga“, sagt der Apotheker, „ruhig, ruhig“. Aber wie soll jemand ruhig bleiben, der nie viel zum Leben hatte und jetzt viel zu wenig?

Schon die 2011 eingeführte Immobiliensteuer, je nach Wohnlage zwischen 50 Cent und acht Euro pro Quadratmeter, zwingt viele Griechen in die Knie. Die neue Abgabe wird mit der Stromrechnung erhoben. Wer nicht zahlt, fliegt aus dem Netz. Deshalb flackert nachts in manchem Häuschen nur eine Campinggas-Lampe.

In Lachanada im Kafenion, einem dieser traditionellen griechischen Kaffeehäuser, wird die Sparpolitik diskutiert. Hier, wo man stundenlang bei einer Flasche Mythos-Bier Backgammon spielen kann, saßen früher tagsüber nur die Rentner. Jetzt kommen auch morgens schon junge Männer. Die Hälfte aller Griechen unter 25 Jahren ist arbeitslos. Viele Staatsbedienstete haben seit Monaten kein Gehalt mehr bekommen. „Schlimmer kann es nicht werden“, sagen die Männer und man wünscht, sie hätten Recht.

Natürlich schimpfen sie auf Angela Merkel. Aber sie schimpfen auch auf die sozialistische Pasok und die konservative Nea Dimokratia – die beiden großen Parteien, die Griechenland 38 Jahre lang immer näher an den Abgrund geführt haben.

„Syriza“ haben böse Buben auf ein verfallenes Haus in Methoni gesprüht. So heißt die Partei des jungen Linken Alexis Tsipras, der als Überraschungssieger aus der Wahl hervorging, weil er den Griechen verspricht, sie könnten den Euro behalten und bräuchten ihre Schulden nicht zu zahlen. In ihrer Verzweiflung glauben Menschen an die Quadratur des Kreises.

Andreas, der Wirt des Kafenions, hat in Lachanada ein Ferienhaus gebaut mit zwei Bädern, weißen Keramikschwänen auf den Pfeilern und Blick aufs Meer. Gerne würde er es zu Geld machen. „New house from stone for sale“ und seine Telefonnummer hat er an einen dem Gebäude vorgelagerten Schuppen geschrieben. Aber Griechenland wird ausverkauft, Immobilien- und Grundstückspreise sind im Keller. Den Pleitegeier mag niemand füttern.

Die Touristen bleiben aus. Besonders die aus Germania. Sie fürchten eine Deutschenfeindlichkeit im Land, fürchten um ihre Sicherheit, glauben an eine Kostenexplosion in Hellas. Campingplätze, Pensionen und Hotels sind schlecht gebucht. Die Tavernen mit den offenen Küchen, den wackeligen Holztischen und diesen typischen Stühlen, an deren unbequeme Widerspenstigkeit man sich so schnell gewöhnt, bleiben leer. Dabei werden die Deutschen freudig empfangen und gerne bewirtet in Finikounda, Methoni und anderswo. 20, höchstens 30 Euro bezahlt man zu zweit in den Tavernen für Tsatsiki und gebackene Auberginen, Souvlaki und Weun. Den Blick auf Meer und Landschaft gibt's umsonst. Und zum Dessert spendiert der Wirt das Obst, das sein Garten gerade hergibt.

Nicht nur die Deutschen fehlen. Auch die Athener. Früher fuhren viele jedes Wochenende die 300 Kilometer zum südlichen Peloponnes und parkten ihre schönen, deutschen Autos neben den verbeulten, asiatischen Pick-ups der Dorfbewohner. Heute kostet der Liter Sprit fast zwei Euro und viele Athener sind ohne Job. „Wenn sich nichts ändert, gehe ich nach Kanada“, sagt Jannis, der Wirt des Lokals „To Kyma“.

Aber jetzt ist erst mal Dorffest in Finikounda. Es gibt Spanferkel, eine Band spielt auf, die Musik ist laut. „Hoppa“, rufen die Griechen. Sie tanzen Sirtaki, die Umstehenden bewerfen sie begeistert mit Rosenblüten und Papierservietten. Und als das Meer sein Glitzerkleid schon lange ausgezogen hat, ziehen die Einheimischen ihre wenigen deutschen Gäste von den Stühlen und schließen sie ein in den Reigen der Tänzer.

Umfragen zur Wahl

Zwei Wochen vor der für Griechenlands Zukunft in Europa wichtigen Parlamentswahl am 17. Juni bieten die letzten Umfragen, die vor der Abstimmung veröffentlicht werden durften, ein uneinheitliches Bild. Die meisten Erhebungen sehen zwar die konservative Neue Demokratie (ND) knapp in Führung. Doch ein Institut stellte dem radikalen Linksbündnis Syriza unter dem entschiedenen Sparkursgegner Alexis Tsipras einen Vorsprung von sechs Prozentpunkten in Aussicht. Nach der vom 6. Mai war eine Regierungsbildung gescheitert.

 
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