In der Griechenlandkrise erhöhen die Europartner den Druck auf den griechischen Premier Alexis Tsipras. Es gehe «nicht mehr um Wochen (...), sondern um wenige Tage», sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vor Beginn des Sondergipfels der Eurostaaten am Dienstag in Brüssel. Die Europartner pochten auf glaubwürdige Reformen als Gegenleistung für neue Hilfsmilliarden. Einen von Athen verlangten erneuten Schuldenerlass lehnen die Euro-Staaten bislang mehrheitlich ab.
Spitzenpolitiker machten vor dem Gipfel in Brüssel deutlich, dass es keine Zeit mehr zu verlieren gebe, um das Krisenland vor der Pleite und dem Austritt aus dem Eurogebiet zu bewahren. Merkel betonte, dass Griechenland Reformen umsetzen müsse, um neue Hilfen zu erhalten. Leistung und Gegenleistung gehörten zusammen. «Ohne Solidarität und ohne Reformen ist der Weg, den wir zu gehen haben, nicht möglich.»
Tsipras präsentierte dem Vernehmen nach Vorschläge, die auf Plänen der Geldgeber von Ende Juni aufbauen. Dazu gehören eine Renten- und Mehrwertsteuerreform sowie eine Luxussteuer. Beim Referendum am Sonntag hatten griechische Wähler das Angebot der Geldgeber mit deutlicher Mehrheit zurückgewiesen.
Bei einem Euro-Finanzministertreffen unmittelbar vor dem Gipfel legte der neue griechische Ressortchef Euklid Tsakalotos keine neuen Reformvorschläge vor. Athen will aber bis voraussichtlich Mittwoch einen neuen Antrag auf Hilfen aus dem Euro-Rettungsfonds ESM stellen, erklärte Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem.
Der Niederländer kündigte an, dass die Euro-Finanzminister nach Eintreffen des neuen Hilfsgesuchs darüber in einer Telefonkonferenz beraten werden. Nur die Minister können den Startschuss geben, das Verfahren für ESM-Hilfen zu starten. «Wir haben sehr wenig Zeit», bilanzierte der Sozialdemokrat. «All das muss innerhalb von einigen Tagen gemacht werden.» Das letzte Hilfsprogramm ist Ende Juni ausgelaufen, nicht abgerufene Milliardenhilfen verfielen.
Beim Finanzministertreffen wurde auch deutlich, dass ein Ausscheiden des überschuldeten Staats aus dem Euroraum kein Tabu mehr ist. Der für den Euro verantwortliche EU-Vizekommissionschef Valdis Dombrovskis sagte: «Falls Vertrauen nicht wieder aufgebaut wird, falls es kein glaubwürdiges Reformpaket gibt, kann das nicht ausgeschlossen werden.» Allerdings sei dies nicht Ziel der EU-Kommission.
Der Linkspolitiker Tsipras hatte in der vergangenen Woche vor dem Referendum in einem Brief Hilfen aus dem ESM in Höhe von 29 Milliarden Euro beantragt. Dieser Antrag muss überarbeitet werden, da zwischenzeitlich die Banken geschlossen wurden und Kapitalverkehrskontrollen gelten. Damit ist die Wirtschaft in einem wesentlich schlechteren Zustand als noch vor gut einer Woche. Der ESM ist der dauerhafte Euro-Rettungsfonds, aus dem Hilfen an klamme Euroländer gezahlt würden.
Der französische Staatspräsident François Hollande wandte sich gegen Szenarien, wonach das schwer angeschlagene Land die Eurozone verlassen müsse. Athen habe bereits in der Eurogruppe der Finanzminister erste Vorschläge gemacht - diese müssten aber noch präzisiert und bestätigt werden. «Es braucht Schnelligkeit, das heißt, dass Entscheidungen innerhalb einer Woche getroffen werden müssen», so der Staatschef.
Unmittelbar vor dem Gipfel kamen Angela Merkel, Hollande und EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker mit Tsipras in einer Viererrunde zusammen. Das berichtete eine Kommissionssprecherin. Erst am Vorabend hatte Merkel in Paris mit Hollande über die Griechenland-Krise beraten.
Tsipras werde am Mittwoch zu einer Debatte im Europaparlament in Straßburg erwartet, kündigte Parlamentspräsident Martin Schulz auf Twitter an. Abgeordnete hatten den Regierungschef aus Athen zu diesem Besuch aufgefordert, um mit ihm über die Schuldenkrise zu debattieren.
Einen von Athen verlangten erneuten Schuldenerlass lehnen die Euro-Staaten bislang mehrheitlich ab. Auf die Frage, ob es einen Schuldenschnitt geben könne, sagte Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU): «Wer die europäischen Verträge kennt, weiß, dass ein Schuldenschnitt unter das Bailout-Verbot fällt.» Das Bailout-Verbot bedeutet, dass Eurostaaten nicht für die Schulden anderer aufkommen dürfen.
Die Zeit drängt bei der Griechenland-Rettung: Die Banken sind seit gut einer Woche geschlossen, das Bargeld dürfte nur noch wenige Tage reichen. Am 20. Juli muss Athen 3,5 Milliarden Euro an die Europäische Zentralbank (EZB) zahlen, um fällige Staatsanleihen zu tilgen.