Der Rote Salon in der Berliner Volksbühne ist brechend voll. Über 100 Menschen drängen sich aneinander wie bei einem Konzert vor der Bühne, bei dem jeder seinem Star so nahe wie möglich sein will. Am Dienstag ist das Gianis Varoufakis, der ehemalige Finanzminister Griechenlands. Als Initiator verkündet er bei einer Pressekonferenz das Ziel seiner neuen paneuropäischen Bewegung „Democracy in Europe Movement 2025“ (DiEM 25): Die Europäische Union müsse demokratisiert werden, ansonsten sei sie nicht zu retten.
Zusammen mit Mitstreitern aus zwölf Ländern hat Varoufakis am Dienstagabend das Netzwerk gegründet. Starten soll es in ganz Europa zur gleichen Zeit. Unter den Teilnehmern sind der italienische Politikwissenschaftler Antonio Negri, die deutsch-griechische Kulturwissenschaftlerin und Journalistin Margarita Tsomou und der US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler James Galbraith. DiEM habe nicht vor, eine neue Partei oder Bewegung aus einem speziellen Land heraus zu gründen. Es gehe um grenzüberschreitenden Aktionismus und eine breite Koalition aus Sozialisten, Liberalen, Linken und Grünen, schildert Varoufakis.
„Grenzen und Zäune spiegeln Unsicherheit wider und verbreiten solche im Namen der Sicherheit.“
Gianis Varoufakis, ehemaliger griechischer Finanzminister
Die wichtigsten Entscheidungen würden hinter dem Rücken der Bevölkerung getroffen, von Menschen, deren Gesicht die meisten gar nicht kennen. Das Problem sei ein „Mangel an Legitimität“, was zu Desintegration und Nationalismus führe. Der Zerfall der EU schreite sehr schnell voran. Es drohe eine „postmoderne Version der 1930er Jahre“, warnt der linke Ökonom. Es sei die Aufgabe von Demokraten, das zu ändern. Da es aber ein entsprechendes Bündnis bisher nicht gebe, fühlt sich Varoufakis in der Pflicht. „Der Mehrheit der Menschen, vor allem denen, die nie wieder von mir oder Leuten wie mir etwas hören wollten, soll Hoffnung gegeben werden, dass Europa der Situation gewachsen ist, konstitutionelle, demokratische Prozesse zurückzufordern.“
Nicht nur die Eurokrise, sondern auch die Flüchtlingsproblematik seien Beispiele für das Versagen der EU. DiEM sei für ein offenes Europa. „Grenzen und Zäune spiegeln Unsicherheit wider und verbreiten solche im Namen der Sicherheit.“ Europa müsse seine Geschichte aufarbeiten. In der Kolonialzeit wurden Stämme und Völker ausgelöscht. Nun werde Europa von Menschen anderer Herkunft neu besiedelt. Man solle das akzeptieren und sich darauf konzentrieren, wie der dynamische Wandel zu bewältigen sei. Die Beteiligten sollen sich zunächst über digitale Plattformen, sprich über eine Webseite oder App organisieren. Später sollen auch Veranstaltungen stattfinden.
Aus dem Manifest der Bewegung geht hervor, dass die europäische Politik in fünf Bereichen revolutioniert werden soll: öffentliche Verschuldung, Bankenwesen, Investitionen, Zuwanderung und Armutswachstum. Zudem wird Transparenz für die Bevölkerung gefordert. Bis 2025 sollen die Anforderungen von DiEM umgesetzt werden. Es sei ein utopisches Projekt und dass es schiefgehe, sei möglich, gibt der griechische Politiker zu.
Jedoch sei die Alternative, dass alle Staaten so weitermachten wie bisher. Das würde aus Varoufakis Sicht in einer grausamen Dystopie enden: Die Dystopie beschreibt den Gegenentwurf zur Utopie, bei der sich die Gesellschaft zum Negativen entwickelt. Hierbei würden nur jene nicht bestraft, so Varoufakis, die aus menschlichen Katastrophen profitieren.