Die rund 50 Millionen Mitglieder der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) dürften Ende des Jahres schlagartig mit der Frage konfrontiert werden: Sollen sie die Kasse wechseln oder bei ihrer bleiben? An diesem Mittwoch will das Bundeskabinett die Finanzreform für die Kassen ab dem Jahr 2015 auf den Weg bringen.
Zwar schwimmt die gesetzliche Krankenversicherung mit einem 30-Milliarden-Euro-Polster derzeit im Geld. Aber die rosigen Zeiten werden mit steigenden Ausgaben der Kassen in absehbarer Zeit enden.
Ein schon fast vergessenes Instrument der Kassenfinanzierung erlebt mit der schwarz-roten Reform mit Macht eine Renaissance: der Zusatzbeitrag. Doch flattern nicht wie vor vier Jahren Aufforderungen zur Zahlung fester Euro-Beträge ins Haus, vielmehr wird es einen Zusatz-Beitragssatz geben. Der dürfte wohl alle Kassen-Mitglieder treffen, in unterschiedlicher Höhe.
Den normalen Beitragssatz will die Koalition von 15,5 auf 14,6 Prozent senken. Arbeitgeber und -nehmer sollen jeweils die Hälfte tragen. Ein heute alleine von den Kassenmitgliedern getragener Anteil von 0,9 Prozent soll entfallen. Somit entsteht eine Lücke von rund elf Milliarden Euro. Zu ihrer Deckung können die Kassen dann vom Einkommen abhängige Aufschläge nehmen.
Die magische Grenze ist 0,9 Prozent. Denn Kassen, die mit ihrem Zusatzbeitrag 2015 darüber liegen, verlangen dann mehr als heute. Wer den Aufschlag darunter festlegt, nimmt weniger.
Genaue Prognosen hat niemand. „Wie hoch der Zusatzbeitrag ausfallen wird, hängt davon ab, wie wirtschaftlich eine Kasse arbeitet“, sagt Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU). „Rund 20 Millionen Versicherte sind Mitglied einer Krankenkasse, die zurzeit mit einem niedrigeren Beitrag auskommt und ihre Mitglieder entlasten könnte.“ Klar ist: Andere müssen mehr zahlen als heute.
Selbst glänzend dastehende Versicherungen wie die Techniker Krankenkasse dürften nach Erwartungen in der Branche einen geringen Zusatzbeitrag nehmen. Auch dieser löst dann schon das Sonderrecht zur Kündigung aus. Zwar darf man schon bisher die Kasse wechseln, aber 18 Monate ist man an sie gebunden. Und ein Sonderrecht zum Reformstart quasi für alle könnte vielen die Wechselmöglichkeit neu vor Augen führen.
Die Koalition plant, dass teurere Kassen darauf hinweisen müssen, wenn der durchschnittliche Zusatzbeitrag aller Kassen geringer ist als ihrer – und darauf, dass es günstigere Kassen gibt.
Von CSU bis Linken ist man sich einig: Die Kassenlandschaft wird sich ändern. „Es wird Verschiebungen geben“, sagt Unionsfraktionsvize Georg Nüßlein (CSU). Auch die Zahl der Kassen dürfte mittelfristig weiter sinken. 960 waren es noch vor 20 Jahren – heute sind es gut 130. „Das wird sich weiter bereinigen“, sagt Linke-Gesundheitsexperte Harald Weinberg.
Doch der Reformstart 2015 ist nur Vorgeplänkel. Wegen jährlich rund vierprozentiger Kostensteigerungen für Kliniken, Pillen und Ärzte dürfte sich nach offiziellen Schätzungen schon 2017 ein Zehn-Milliarden-Loch auftun. Schon dann werden einzelne Kassen wohl Aufschläge von mehr als zwei Prozent vom Einkommen nehmen, meint Gesundheitsökonom Jürgen Wasem.
Vor „empfindlichen Höhen“ warnt die Grünen-Fachpolitikerin Maria Klein-Schmeink. Auch in der SPD sind viele unglücklich damit, dass die Arbeitgeber die Mehrkosten nicht mehr mitzahlen sollen.
Gesetzliche Krankenversicherung
70 Millionen Menschen sind in Deutschland bei den mehr als 130 gesetzlichen Krankenkassen versichert. Mitversicherte Familienangehörige ausgenommen zahlen rund 50 Millionen Kassenmitglieder Beiträge. Weitere Kerndaten:
Einnahmen: Rund 195,6 Milliarden Euro Einnahmen standen 2013 Ausgaben von 194,4 Milliarden Euro gegenüber.
Reserven: Das Finanzpolster der einzelnen Kassen betrug vergangenes Jahr 16,7 Milliarden Euro. Der Gesundheitsfonds, die Geldsammel- und -verteilstelle der Kassen, hatte 13,6 Milliarden Euro Reserven. Drei Jahre zuvor waren es bei den Kassen noch 6 und beim Fonds 4,2 Milliarden.
Bundeszuschuss: Aus dem Bundeshaushalt floss an die Krankenversicherung 2010 die bisher höchste Summe von 15,7 Milliarden Euro. 2014 sollen es 10,5 Milliarden sein.
Beitragssatz: Er beträgt 15,5 Prozent. Seit Mitte 2005 ist ein Sonderbeitrag von 0,9 Prozentpunkten zulasten der Mitglieder enthalten. Text: dpa