Wilde Gerüchte wabern durch Berlin. Keiner weiß, woher sie kommen, aber jeder hat sie schon gehört. In der SPD, so heißt es in der Hauptstadt schon seit Tagen, gebe es Überlegungen, im Falle einer Niederlage bei der Landtagswahl in Niedersachsen am kommenden Sonntag den umstrittenen und im Ansehen der Wähler geradezu abgestürzten Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück abzulösen.
Nur wenn es SPD und Grüne in Hannover schaffen, die dortige schwarz-gelbe Koalition abzulösen und selbst die Macht zu übernehmen, habe Steinbrück noch eine realistische Chance, seinen Wahlkampf wie geplant durchzuziehen und sich als Herausforderer von Angela Merkel zu positionieren. Falls aber CDU und FDP es doch wieder schaffen würden, wäre das erhoffte Signal für einen Neustart der Kampagne weg. Gelinge dies aber nicht, so wollen Insider wissen, müsse Parteichef Sigmar Gabriel ran, egal ob er wolle oder nicht.
Stimmt's oder stimmt's nicht? „Völliger Quatsch“, sagte Parteichef Gabriel am Samstag bei einer Klausurtagung der hessischen SPD. Diese Gerüchte seien eine reine Erfindung der Medien, in der Partei gebe es keine derartigen Überlegungen. Ausdrücklich stellte er sich hinter Steinbrück: „Egal wie die Niedersachsen-Wahl ausgeht: Es wird keine Diskussion um den Kanzlerkandidaten geben.“
Kurt Beck: „Fantasieprodukt“
Auch der in dieser Woche aus dem Amt scheidende Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Kurt Beck, wies diese Gerüchte als Fantasieprodukt zurück. „Was im Moment abläuft, ist eine üble Kampagne“, sagte der frühere SPD-Chef in einem Interview. „Es reicht jetzt wirklich. Ich kann nur sagen, auch an die Adresse meiner Partei: Jetzt erst recht mit und für Peer Steinbrück.“ Und auch Altkanzler Gerhard Schröder reihte sich demonstrativ in die Reihe der Steinbrück-Unterstützer ein: „Ich wundere mich darüber, was Peer Steinbrück alles vorgeworfen wird.“
Doch diese Äußerungen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Nervosität wenige Tage vor dem Urnengang im zweitgrößten Flächenland der Republik steigt. Nicht nur bei den Sozialdemokraten. Die Wahl am 20. Januar gilt als wichtiger Stimmungstest und als Weichenstellung für den Bundestagswahlkampf. Im Willy-Brandt-Haus war ein Sieg von Rot-Grün schon fest eingeplant gewesen, nachdem alle Meinungsumfragen monatelang ein Scheitern der FDP an der Fünf-Prozent-Hürde vorhergesagt hatten.
Doch in der vergangenen Woche erreichte die FDP zum ersten Mal seit langem diesen alles entscheidenden Wert, der über Sein oder Nicht-Sein bestimmt, damit zeichnet sich im Schlussspurt ein spannendes Kopf-an-Kopf-Rennen um die Macht ab. Der ums politische Überleben kämpfende FDP-Chef Philipp Rösler, dessen Schicksal sich am Sonntag in seinem Heimatland entscheidet, bettelt mittlerweile bei Unionsanhängern offen um Leihstimmen für die FDP.
FDP bettelt um Leihstimmen
„Wir werden die Zweitstimmenkampagne noch zuspitzen“, kündigte der Vizekanzler und Wirtschaftsminister am Wochenende an. CDU-Sympathisanten müssten erkennen, dass es ohne die Liberalen keine Fortsetzung der schwarz-gelben Koalition gebe. „Ohne die FDP mit Stefan Birkner kann Ministerpräsident David McAllister nicht weiterregieren.“
Das wissen auch die Christdemokraten. Selbst ein Triumph mit deutlich über 40 Prozent der Stimmen könnte sich am Ende als wertlos erweisen, wenn die FDP aus dem Landtag fliegt. Sie unterstützt daher immer offensiver das Buhlen des Koalitionspartners um Zweitstimmen. So tauchte Ministerpräsident McAllister, der viele Jahre im niedersächsischen Landtag eng mit Rösler zusammenarbeitete, überraschend am Sonntag bei einem kleinen Parteitag des Koalitionspartners auf und bekannte sich ausdrücklich zu einer Fortsetzung des schwarz-gelben Regierungsbündnisses. Den Delegierten dankte er für „zehn Jahre erfolgreicher Zusammenarbeit“, FDP-Spitzenkandidat Stefan Birkner bezeichnete er als einen „kompetenten, unaufgeregten, engagierten“ Partner, mit dem er gerne weiter regieren wolle.
Das Signal ist klar: Die CDU braucht die FDP, um an der Macht zu bleiben. Birkner seinerseits glaubt gar, dass für die Liberalen sechs bis acht Prozent möglich wären. Die Stammwähler im Mittelstand seien sensibilisiert, es gebe kaum eine Veranstaltung bei den Handelskammern, wo nicht vehement für die Zweitstimme FDP geworben wäre.
In diesem Falle hätte die FDP ein Problem weniger – und die SPD eines mehr.