Elf Wochen nach dem Absturz nimmt das westfälische Haltern die sterblichen Überreste von 16 Schülern und 2 Lehrerinnen in Empfang. Die Stadt trägt einmal mehr Trauer.
Als die weißen Leichenwagen durch Haltern rollen, herrscht Totenstille. Von weit weg dringt Glockengeläut herüber. Schulter an Schulter stehen Schüler und Erwachsene, halten sich an den Händen. Sie sind gekommen, um die toten Kinder Halterns in Empfang zu nehmen, die von ihrem Schüleraustausch in Spanien nicht lebend zurückkamen.
Elf Wochen nach dem schwarzen Tag für die Stadt am Rande des Ruhrgebiets hängen die Fahnen in Haltern am See wieder auf halbmast. Elf Wochen ist es her, seit die Germanwings-Maschine des Fluges 4U9525 in den französischen Alpen zerschellte. Der Copilot soll sie mit Absicht in den Abgrund gesteuert haben. Alle Menschen an Bord starben - darunter 16 Schüler aus Haltern der zehnten Jahrgangsstufe und ihre 2 Lehrerinnen. An diesem Mittwoch kehren sie heim.
Am späten Dienstagabend war eine Sondermaschine aus Frankreich mit den sterblichen Überresten auf dem Düsseldorfer Flughafen gelandet. Die Särge wurden dann am Mittwoch den Angehörigen übergeben. Halterns Bürgermeister wird später von einem würdevollen Akt sprechen. «Sie haben dort weinen können, sie haben dort trauern können.» Später hätten sie sich gegenseitig Trost gespendet.
Seine Stimme bricht immer wieder, als er den Reportern Bericht erstattet. Er hat die Angehörigen bei diesem schweren Gang begleitet. Und doch: «Mit dem heutigen Tag ist auch eine quälende Zeit vorüber.» Endlich können die Hinterbliebenen Abschied nehmen.
«Die Wartezeit war für die Angehörigen unerträglich», sagt Ulrich Wessel. Er ist der Schulleiter des Joseph-König-Gymnasiums, einer Schule im Trauerzustand. Bäume für die 18 Toten haben sie auf dem Schulhof gepflanzt, genau wie die Partnerschule in der Nähe von Barcelona. In der Eingangshalle gehen die Schüler Tag für Tag an den Bildern der Toten vorbei. Von Normalität könne in diesen Tagen nicht die Rede sein an seiner Schule, berichtet Wessel. 14 Tage lang werde es dauern, bis alle Toten nach und nach beigesetzt sind.
Am Tag der Katastrophe, dem 24. März, war die 38 000-Einwohner-Stadt zwischen Ruhrgebiet und Münsterland wegen ihres besonders harten Verlusts zum Symbol geworden. Nirgendwo war die Lücke, die der Flugzeugabsturz riss, so deutlich sichtbar wie hier: Kerzen auf den Treppen vor dem Gymnasium, auf der Tischtennisplatte; Schüler, die schweigend vor dem Lichtermeer verharren. Wessel stellte sich den Kameras, versuchte Worte zu finden für etwas, was für die Stadt bis heute kaum in Worte zu fassen ist. Es waren diese Bilder von Schock und Zusammenrücken in der Trauer, die um die Welt gingen.
«In den ersten Tagen war die Innenstadt wie leer gefegt. Die Leute haben sich auf das Wesentliche konzentriert», erinnert sich Stadtsprecher Georg Bockey. Mit dem beginnenden Sommer ist Schritt für Schritt auch das kleinstädtische Leben zurückgekehrt. Nach und nach verschwanden die Schilder der Anteilnahme aus den Schaufenstern, die Straßencafés füllten sich wieder.
Auch an dem Tag, als die toten Kinder in Särgen durch die Stadt rollen, sieht Haltern aus, wie eine normale Kleinstadt: Das Eiscafé macht ein gutes Geschäft, lärmend radeln Kinder nach Schulschluss nach Hause. Wären da nicht die weißen Grablichter und Rosen, die den Straßenabschnitt vor dem Gymnasium säumen.
Die Rückkehr zu selbstverständlicher Lebensfreude bleibt auch elf Wochen später ein zähes Ringen, vor allem in den kommenden Tagen, wenn auf den Friedhöfen der Stadt und ihrer umliegenden Dörfer eine Beerdigung nach der anderen abgehalten wird: Das Schützenfest, für viele ein Brauchtum-Highlight, steigt zwar am Wochenende - allerdings diesmal gedämpfter.
Aus Rücksicht auf die Trauernden, werde es weder ein Feuerwerk noch Märsche mit Spielmannsmusik durch die Stadt geben. «Wir tragen das Fest nicht offensiv in die Stadt hinein, wollen aber jedem, der will, die Möglichkeit geben, zu feiern», sagt Axel Schmäing, Präsident der Schützengilde. Auch an diesem Wochenende werde es Mitglieder des Schützenvereins geben, die erst am Rande eines Grabes stehen und sich am Tag darauf im Festzelt mit ihren Schützenbrüdern treffen.
Die Wunden heilen nur langsam, das wird klar in den schweren Minuten als der Konvoi mit Halterns toten Kindern durch die Stadt rollt. Die Anteilnahme bewegt, auch den Bürgermeister, der den Tross der Trauernden von Düsseldorf bis in die Heimat begleitet hat: «Ich glaube, es war auch für die Eltern und Angehörigen ein wichtiges Zeichen, dass ihre Kinder nicht vergessen sind, sondern nach wie vor alle in unseren Herzen sind.»