Der Slogan, den viele hier am Triumphbogen skandieren, „Macron, Rücktritt“, ist Alexandre nicht scharf genug. „Macron soll hängen“ hat er auf seine gelbe Warnweste geschrieben. Mit ein paar Kumpels ist er an diesem Samstag von seinem Wohnort an der Schweizer Grenze ins Zentrum von Paris gefahren, um Flagge zu zeigen. Eine gelbe Flagge der Wut. „Es reicht! Wir werden von Steuern und Abgaben erdrückt“, sagt der 38-Jährige aufgebracht. 3500 Euro verdiene er im Monat als Mitarbeiter eines privaten Sicherheitsdienstes. Wenn er alle notwendigen Ausgaben für sich und seine zwei kleinen Söhne abziehe, bleibe nichts übrig.
Er wolle sich hier nicht prügeln, versichert Alexandre. Sollte es aber bei den Demonstrationen im schicken achten Arrondissement von Paris, wo die Prachtstraße Champs-Élysées zum Triumphbogen führt, wieder zu Randale kommen, habe er kein Mitleid mit den Anwohnern: „Die verdienen es doch nicht anders. Diese Ultrareichen, das sind nicht wir. Das ist nicht das Volk.“
Auch innerhalb der anderen Grüppchen, die hier etwas unschlüssig herumstehen und die Hälse recken, sobald in der Ferne Explosionen und Rufe zu hören sind und weiße Wolken von Tränengas aufsteigen, ist viel von Klassenkampf die Rede: Die Verhassten „da oben“ und an erster Stelle Präsident Emmanuel Macron gegen das Volk „da unten“, das nun aufbegehre gegen zu hohe Steuern und Lebenshaltungskosten.
Rückhalt für "Gelbwesten" bleibt hoch
Mitte November entstand die Bewegung der „Gelbwesten“ („Gilets jaunes“) vor allem in den ländlichen Regionen Frankreichs durch Appelle in Sozialen Netzwerken zu Straßenblockaden. Der Widerstand richtete sich gegen die geplante Erhöhung der Ökosteuer auf Benzin und Diesel. Diese hat die Regierung inzwischen zurückgenommen und weitere soziale Maßnahmen versprochen. Doch das genügt den Unzufriedenen längst nicht mehr, die nun allgemein gegen zu hohe Lebenshaltungskosten sowie die Mehrbelastung der Rentner protestieren.
Die 21-jährige Sophie zitiert eine Meldung, nach der Frankreich mit einer Steuerquote von 46,2 Prozent der Wirtschaftskraft nun den ersten Platz innerhalb der OECD noch vor Dänemark einnimmt. Die zierliche Kindergärtnerin, eine der wenigen gelb bewesteten Frauen am Triumphbogen, ist mit ihrem Vater aus Westfrankreich angereist, um für ihre Zukunft zu demonstrieren, wie sie sagt. „Wir sind bereit, noch sehr lange durchzuhalten. Bis sich endlich etwas ändert!“ Mit rund 136 000 in ganz Frankreich nahm die Zahl der Demonstranten stark ab, doch der Rückhalt in der Bevölkerung für die „Gelbwesten“ bleibt groß. In Paris waren sie 10 000, deutlich weniger als beim gleichzeitig stattfindenden „Marsch für das Klima“. Da dieser überwiegend friedlich blieb, erhielt er weniger Aufmerksamkeit.
Viele „Gelbwesten“ kamen an diesem vierten Aktionstag aus der Provinz in die Hauptstadt. Da es erneut keine offizielle Anmeldung gab und auch keinen klaren Demonstrationszug, verteilten sich die Protestler etwas unkoordiniert in den Straßen. In den meisten Vierteln herrschte an diesem zweiten Adventssamstag, wo es normalerweise in Paris brummen und wuseln würde, gespenstische Ruhe: Viele Straßen waren für den Verkehr gesperrt, an Kreuzungen führten Polizisten Personenkontrollen durch und durchsuchen Taschen. Etliche Museen, Theater und der Eiffelturm blieben geschlossen, auch Läden und Restaurants, die ihre Vitrinen teilweise verbarrikadierten. Innenminister Christophe Castaner hatte den Menschen geraten, zuhause zu bleiben und vor jenen gewarnt, die „kommen, um zu zerstören und zu töten“.
Großaufgebot an Sicherheitskräften
Groß war die Sorge der Regierung, dass die Lage am Samstag so eskalieren könnte wie in der Vorwoche, als sich Polizisten und Demonstranten, oft aus der ultralinken und -rechten Szene kommend, Straßenschlachten lieferten. Diesmal wurde landesweit ein Großaufgebot von 89.000 Sicherheitskräften abgestellt, davon 8000 in Paris, wo 14 gepanzerte Militärfahrzeuge auffuhren. Vor allem rund um die Champs-Élysées stellten sich schwer ausgerüstete Spezialpolizisten auf, um Ausschreitungen zu verhindern und den Triumphbogen zu schützen. Das Symbol der Republik war eine Woche zuvor beschmiert und beschädigt worden.
Solche Gewalt-Exzesse blieben diesmal aus, auch wenn es am Nachmittag zu Zusammenstößen kam, Schaufenster zu Bruch gingen und Autos brannten, auch in anderen Städten wie Bordeaux, Toulouse und Nantes. In ganz Frankreich wurden 179 Menschen verletzt und 1723 festgenommen, davon die meisten in Paris – gegenüber 412 in der Vorwoche. Am Abend dankte Präsident Macron in einem Tweet den Einsatzkräften für „den Mut und die außergewöhnliche Professionalität“. Am heutigen Montag will er im Fernsehen erklären, wie er der Krise zu begegnen gedenkt. Im Internet kursieren längst Protestaufrufe für nächsten Samstag.