Es ist der Traum jedes Schülers, jedes Studenten: Lernen im Schlaf! Geht das tatsächlich und wenn ja, wie? Eine Frage, die viele Forscher und Forscherinnen beschäftigt. Zu ihnen gehört auch Dr. Susanne Diekelmann. Die Psychologin arbeitet am Institut für Medizinische Psychologie und Verhaltensneurobiologie der Universität Tübingen und befasst sich seit langem mit dem Lernen im Schlaf. Also, Frage an die Expertin: Kann man im Schlaf lernen? „Jein“, lautet Diekelmanns Antwort. Direkt lernen im Schlaf – das heißt, neue Dinge ins Gehirn transferieren – könne man zwar nicht. Aber eines funktioniere schon, nämlich: gelernte Inhalte mithilfe des Schlafes im Gedächtnis abzuspeichern.
Neu Gelerntes ist noch relativ fragil, der Schlaf hilft, es zu festigen und im Langzeitgedächtnis zu verankern, erklärt die Forscherin. Wie haben die Tübinger das herausgefunden? Hierzu wurden junge gesunde Studenten untersucht, erklärt Diekelmann. Sie mussten zum Beispiel Wortpaare lernen – und wurden dann in zwei Gruppen aufgeteilt. Eine Gruppe durfte anschließend schlafen, während man ihre Hirnströme per EEG aufzeichnete. Die zweite Gruppe dagegen musste wach bleiben. Am nächsten Morgen testete man, wie gut sie sich an die gelernten Wortpaare erinnern konnten. Ergebnis: Diejenigen, die geschlafen hatten, erinnerten sich deutlich besser als jene, die hatten wach bleiben müssen.
Begeisterung wirkt wie Dünger
Allerdings stellten sich bei Abwandlungen dieser Untersuchungen noch weitere höchst interessante Dinge heraus, nämlich: „Die Verbesserung des Gedächtnisses scheint nur dann zu funktionieren, wenn man davon ausgeht, dass man das Gelernte in Zukunft tatsächlich noch mal braucht“, berichtet Diekelmann. Denn sagte man den Studenten, dass am nächsten Morgen ein ganz anderer Test auf dem Plan stehen würde, erinnerten sie sich selbst dann schlechter an das Gelernte, wenn sie geschlafen hatten. Offensichtlich wird nur Wichtiges während des Schlafes ins Langzeitgedächtnis übertragen, als unwichtig Empfundenes dagegen aussortiert.
Bekannt ist, dass auch Gefühle das Gedächtnis wesentlich beeinflussen. Was uns emotional aufwühlt, bleibt besser im Gedächtnis haften. Begeisterung wirke wie Dünger für Nervenzellen, hat der Hirnforscher Professor Gerald Hüther einmal gesagt. Diekelmann bestätigt dies. Es lassen sich daraus jedoch auch Schlussfolgerungen ableiten für alle, die Schlimmes erlebt haben, was ja ebenfalls emotional wirksam ist: Sie sollten nach dem traumatischen Ereignis lieber wach bleiben, anstatt – möglicherweise mithilfe von Medikamenten – den Schlaf herbeizuzwingen. Denn sonst wird das schlimme Ereignis im Langzeitgedächtnis verankert, was nicht wünschenswert ist. Von Natur aus schläft man nach traumatischen Erlebnissen schlecht, und das hat wohl durchaus seinen Zweck.
Welche Rolle Träume für das Lernen im Schlaf spielen, ist schwer zu sagen. „Generell ist Traumforschung schwierig, weil wir Träume nicht objektiv untersuchen können“, sagt Diekelmann. „Wir müssen uns auf das verlassen, was die Leute uns erzählen, wenn sie aufwachen.“ Herausgefunden habe man jedoch, dass wir – anders als früher gedacht – nicht nur in den sogenannten REM-Phasen träumen (REM = rapid eye movement, rasche Augenbewegungen), sondern durchaus auch in den Tiefschlafphasen, erklärt sie. Nur seien die Träume in den REM-Phasen meist „bizarrer und verworrener“.
Und: Die Tiefschlafphasen scheinen nach heutiger Kenntnis für die Abspeicherung von Gelerntem im sogenannten deklarativen Gedächtnis wichtig zu sein, das für Fakten und Wissen zuständig ist. REM-Schlaf dagegen für die Verankerung im prozeduralen Gedächtnis, das Verhalten und Fertigkeiten speichert. „Aber die Trennung ist nicht so ganz klar“, schränkt Diekelmann ein. Und hat die Bewusstlosigkeit, in der wir uns schlafend befinden, eine Bedeutung fürs Lernen, wie manche glauben? „Wir können dadurch keine neuen Informationen aufnehmen“, sagt Diekelmann. Möglicherweise helfe die Bewusstlosigkeit also, dass die Abspeicherung von Gelerntem im Schlaf ungestört ablaufen könne.
Und es gibt noch einen spannenden Aspekt, wenn es um Schlaf und Gedächtnis geht: die Rolle von Gerüchen. Man weiß längst, dass Gerüche in der Lage sind, Erinnerungen an Vergangenes heraufzubeschwören. Vor wenigen Jahren aber hat man untersucht, was sie beim „Lernen im Schlaf“ bewirken können. In Lübeck, wo das Tübinger Labor damals noch ansässig war, ließ man die Probanden wiederum bestimmte Dinge lernen – und zwar diesmal bei Rosenduft. Im Schlaf bekam eine Gruppe sodann nochmals Rosenduft zu riechen, und am nächsten Morgen zeigte sich, dass diese Gruppe sich besser an das Gelernte erinnern konnte als jene, die ohne Duft geschlafen hatte. Der Geruch hat also dabei geholfen, das Gelernte fest im Langzeitgedächtnis zu verankern, wie Diekelmann sagt.
Was Gerüche auslösen
Es ist ein Thema, das auch die Forscherin besonders fasziniert: „Dass man Reize von außen nutzen kann, um nachts die Speicherung von Gelerntem im Gehirn zu beeinflussen.“ Das funktioniere übrigens grundsätzlich nicht nur mit Gerüchen, sondern auch mit Tönen – doch hätten die Geräusche den Nachteil, „dass man meist irgendwann aufwacht“. Bei Düften sei das dagegen nicht der Fall. Mit den Gerüchen will man sich in Tübingen auch in Zukunft weiter beschäftigen – und „genauer schauen, was da im Gehirn passiert“. Schon jetzt hat man in Kernspinuntersuchungen herausgefunden, dass diejenigen Hirnregionen, die beim Lernen aktiviert sind, auch durch im Tiefschlaf wahrgenommene Gerüche stimuliert werden.
Aus dem, was die Forscher in ihren Untersuchungen bislang herausgefunden haben, leitet Diekelmann folgende Empfehlungen ab für Schüler, Studenten und alle, die etwas neu lernen müssen: Während längerer Prüfungsphasen hilft es nicht, Nächte durchzuarbeiten – vielmehr sollte man auf ausreichend Schlaf achten. „Auch ein Mittagsschlaf kann helfen“, sagt die Expertin. „Es gibt Befunde, dass schon eine Stunde Schlaf über den Tag hinweg hilft, Gedächtnisinhalte zu speichern.“ Auch Düfte könnte man wie beschrieben unterstützend einsetzen.
Und eigentlich wäre es ja am besten, abends vor dem Schlafen zu lernen. Da die meisten Menschen da jedoch müde sind, rate man, morgens und tagsüber zu lernen und das Gelernte dann vor dem Schlafengehen noch einmal zu wiederholen. Nicht zuletzt sollte man sich abends noch einmal bewusst machen, dass das Gelernte wichtig sei. Während Inhalte für das deklarative Gedächtnis möglichst zeitnah am Schlaf gelernt werden sollten, verhalte es sich bei Fertigkeiten, etwa einem gelernten Musikstück oder einer sportlichen Vorführung, anders; sie bleiben tagsüber länger im Gedächtnis erhalten. Doch auch in diesen Fällen solle man das Gelernte nicht nächtelang wieder und wieder durchgehen, sondern darauf achten, gut zu schlafen.
Nach ein bis zwei guten Nächten sitzt das Gelernte dann ziemlich fest, nachfolgender Schlafentzug spielt keine Rolle mehr – es sei denn, man aktiviere das Gelernte noch mal und gehe, etwa vor einer durchwachten Nacht, abermals Vokabeln durch, warnt Diekelmann. Dies könne die Gedächtnisspur wieder fragil machen. „Wenn man weiß, dass man eine Nacht durchmachen muss, sollte man schon Gelerntes davor nicht noch einmal erinnern.“