zurück
ANKARA
Gefahr eines „Nato-internen Krieges“
F-16 Kampfflugzeug der türkischen Luftwaffe       -  Sprechen im Ägäis-Konflikt womöglich bald die Waffen? Momentan ist es eher ein Säbelrasseln – Hier im Bild ein türkischer Kampfjet.
Foto: INGO WAGNER, DPA | Sprechen im Ägäis-Konflikt womöglich bald die Waffen? Momentan ist es eher ein Säbelrasseln – Hier im Bild ein türkischer Kampfjet.
Susanne Güsten       -  Susanne Güsten war Korrespondentin in der Türkei.
Susanne Güsten
 |  aktualisiert: 18.04.2018 02:36 Uhr

General Hulusi Akar ist sicher, dass die Türkei für einen Zweifrontenkrieg gerüstet ist. Sein Land sei stark genug, um im syrischen Afrin und in der Ägäis gleichzeitig die Dinge „unter Kontrolle“ zu halten, sagte der türkische Generalstabschef kürzlich. Der Vergleich zwischen Syrien und der Ägäis mag auf den ersten Blick merkwürdig erscheinen. Schließlich kämpft die türkische Armee in Afrin gegen eine kurdische Miliz, während die Ägäis die Grenze zwischen der Türkei und dem Nato-Partner und EU-Staat Griechenland markiert. Doch im Verhältnis der Türkei zu Griechenland und zu Zypern wachsen die Spannungen – es geht um Macht, regionalpolitischen Einfluss und viel Geld.

Viele Feindbilder

Die Eskalation nährt Feindbilder auf allen Seiten und ist Ausdruck politischer Differenzen, die selbst bei gutem Willen der Beteiligten nicht leicht aus der Welt zu schaffen wären. Sowohl Griechenland als auch die Türkei sehen sich in der Defensive: In Athen werden der weit größeren und militärisch überlegenen Türkei aggressive Absichten unterstellt, während sich die Türkei durch Griechenland im Westen und das griechisch regierte Zypern im Süden eingekreist sieht. Schon 1996 standen Türkei und Griechenland am Rande einer militärischen Auseinandersetzung, die von der Führungsmacht USA in letzter Minute verhindert wurde.

Anlass für den damaligen Streit war die ungenaue Grenzziehung in der Ägäis – ein Problem, das bis heute nicht geklärt ist, auch wenn die beiden Staaten im Rahmen des europäisch-türkischen Flüchtlingsabkommens bei der Bekämpfung des Menschenschmuggels in dem Gewässer kooperieren. Der Zypern-Konflikt bleibt ebenfalls trotz aller Bemühungen ungelöst. Diese unbewältigten Probleme lassen einen gefährlichen Mix entstehen, der Militärs wie Akar an den Ernstfall denken lässt. Auch die US-Zeitschrift „Weekly Standard“ sieht die Gefahr eines „Nato-internen Krieges“. Über der Ägäis liefern sich griechische und türkische Kampfjets immer wieder Scheingefechte, während sich Politiker beider Staaten gegenseitig Aggression vorwerfen. Im Februar rammte ein Schiff der türkischen Küstenwache in der Ägäis ein griechisches Küstenwachboot.

Aus Sicht des griechischen Verteidigungsministers Panos Kammenos ist die Türkei für nicht hinnehmbares „provokatives Verhalten“ verantwortlich. Er schickt 7000 zusätzliche Soldaten in die Ägäis, um die dortigen griechischen Inseln zu schützen. Der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim nennt Griechenland herablassend einen Staat, dessen Bevölkerungszahl nicht einmal an die von Istanbul heranreiche. Ankara hat zwei griechische Soldaten einsperren lassen, die offenbar unabsichtlich die Landgrenze zwischen Griechenland und dem europäischen Teil der Türkei überquerten; der griechische Premier Alexis Tsipras wirft der Türkei wegen der Festnahme „Erpressung“ vor.

Dass die chronischen Meinungsverschiedenheiten ausgerechnet jetzt eskalieren, hat mehrere Gründe. Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan schockte die Griechen Ende des vergangenen Jahres mit der Bemerkung über „Unklarheiten“ im Vertrag von Lausanne aus dem Jahr 1923, in dem die Grenzen zwischen beiden Ländern gezogen wurden. In Athen wurde dies als Drohung gegen griechisches Territorium verstanden. Auch auf der anderen Seite der Ägäis gibt es neue Befürchtungen: Ankara wirft Griechenland vor, die Auslieferung mutmaßlicher Teilnehmer des Putschversuches von 2016 zu verweigern und damit türkische Staatsfeinde zu unterstützen.

Auch auf regionaler Ebene sind neue Irritationen entstanden. Die Entdeckung reicher Gasvorräte im östlichen Mittelmeer zwischen Israel, Ägypten und Zypern heizt regionalpolitische und wirtschaftliche Auseinandersetzungen an. Ankara verlangt eine Beteiligung der türkischen Zyprer – und damit der Türkei selbst – an der Ausbeutung der Bodenschätze und hat mit der türkischen Kriegsmarine die Suche nach Gasvorräten gestört. Erdogans Regierung beobachtet zudem mit wachsender Verärgerung die Stärkung einer neuen Allianz aus Israel, Griechenland und Zypern: Die drei Länder wollen das Erdgas aus der Region auf direktem Wege nach Europa schicken, was eine Konkurrenz für die türkischen Pipelines mit Gas aus Russland und Zentralasien wäre.

Die Entdeckung des Gasreichtums könnte mittelfristig zudem den türkischen Rivalen Ägypten stärken. Die Beziehungen zwischen Ankara und Kairo sind seit der Entmachtung des islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi im Jahr 2013 gespannt. Die Türkei erkennt die Seegrenze zwischen Zypern und Ägypten nicht an und hat angedeutet, mit der Suche nach Erdgas in ägyptischen Gewässern zu beginnen. Ein ägyptischer Parlamentarier sprach von einer „Kriegserklärung“.

Politiker rüsten rhetorisch auf

Das ist ein wenig übertrieben. Weder die Türkei noch Griechenland oder Zypern haben Interesse an einer handfesten Auseinandersetzung und einem endgültigen Bruch. Ankara braucht Europa als Handelspartner und will deshalb den Streit mit den EU-Mitgliedern Griechenland und Zypern nicht völlig aus dem Ruder laufen lassen. Griechenland und Zypern wollen einen Abbruch der türkischen Beziehungen zur EU vermeiden, weil sie sich von der Anbindung Ankaras ein Mindestmaß an Einfluss auf Erdogan versprechen.

Allerdings bringt jede neue Konfrontation das Risiko eines unabsichtlichen militärischen Zusammenstoßes mit sich. Zudem rüsten Politiker auf beiden Seiten rhetorisch eher auf als ab. Kommenos nennt die Türkei inzwischen einen „Feind“, während Erdogan betont, die Türkei werde in der Ägäis und im Mittelmeer genauso entschieden eingreifen wie in Afrin.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Susanne Güsten
Alexis Tsipras
Entdeckungen
Erdgas
Griechische Soldaten
Mohammed Mursi
Nachbarn
Putschversuche
Recep Tayyip Erdogan
Rhetorik
Spannungen
Staatsfeinde
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen