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BRÜSSEL
Gazprom dreht der Ukraine das Gas ab
Lieferstopp für die Ukraine: Gazprom-Chef Alexei Miller vor der Presse in Moskau.
Foto: Maxim Shipenkov, dpa | Lieferstopp für die Ukraine: Gazprom-Chef Alexei Miller vor der Presse in Moskau.
Detlef Drewes
Detlef Drewes
 |  aktualisiert: 16.06.2014 19:47 Uhr

Der Streit um das russische Gas ist eskaliert. Am Montagmorgen um acht Uhr machte der Energieriese Gazprom die Leitungen Richtung Ukraine dicht. „Wir haben keine Einigung erzielt und die Chancen sind gering, dass wir uns noch einmal treffen“, sagte ein Sprecher des Unternehmens nach der geplatzten Verhandlungsrunde in Kiew.

EU-Energiekommissar Günther Oettinger, der sich seit Wochen als Vermittler zwischen Gazprom-Chef Alexej Miller und dem ukrainischen Ministerpräsidenten Arseni Jazenjuk versucht hatte, sagte zwar wenig später in Wien, er werde „noch im Juni“ zu weiteren Gesprächen einladen. Doch dafür könnte es dann schon zu spät sein. Denn der Gasstreit droht die gesamten Beziehungen zwischen Kiew und Moskau zu erfassen.

268,5 Dollar je 1000 Kubikmeter hatte die Ukraine zahlen müssen, solange noch der Russland zugeneigte Präsident Viktor Janukowitsch im Amt war. Angeblich enthielt der Preis einen Abschlag von rund 100 Dollar für die Nutzung der Krim. Als diese von Moskau annektiert worden war und die Ukraine sich Richtung EU orientierte, schlug Gazprom zu und forderte 485 Dollar, der höchste Preis Europas. Zwar verständigte man sich am Schluss auf 385 Dollar. Doch Kiew bestand auf weiteren Rabatten – beispielsweise auf 300 Dollar in den Sommermonaten, und wollte seine aufgelaufenen Gesamtschulden von knapp drei Milliarden Euro in Raten bis zum Jahresende bezahlen. Zunächst sollte eine Milliarde überwiesen werden. Gazprom-Chef Miller lehnte ab, er bestand auf 1,44 Milliarden Euro sofort. Die wurden nicht bezahlt. Seither sind die Gasleitungen zumindest für die Ukraine dicht.

Denn Richtung Europa will Moskau seine vereinbarten Lieferungen auch weiter sicherstellen. Rund ein Drittel des Gases, das in der Union verbraucht wird, stammt aus russischen Quellen. Die Hälfte davon fließt über die Ukraine. „Wir werden die EU pünktlich beliefern“, hieß es am Montag aus der Gazprom-Zentrale. „Die Versorgung der EU läuft normal“, bekräftige eine Sprecherin Oettingers gestern Mittag. „Das Frühwarnsystem ist bisher nicht aktiviert worden.“

Aber in Moskau wie Brüssel weiß man, dass es bei den beiden vorangegangenen „Gas-Kriegen“ 2006 und 2009 zu Lieferproblemen kam. Damals warf der Kreml der Ukraine vor, illegal Brennstoff für sich abgezweigt zu haben.

Der Streit zieht Kreise. Das Unternehmen hatte noch am Montag Klage beim internationalen Schiedsgericht in Stockholm eingereicht. Unter Experten gilt das als durchaus riskantes Manöver. Denn schon im Vorfeld hatte Kiews Regierungschef Jazenjuk angekündigt, mit einer Gegenklage zu reagieren. Die Ukraine könne für die Annektierung der Krim bis zu 16 Billionen Euro vor dem gleichen Gericht fordern, sagte er. Das Geschäft hat größere Dimensionen: Es geht um russisches Gas gegen ukrainische Erde.

Die Auswirkungen auf Europa und Deutschland dürften im Moment eher gering sein. Schließlich gelten die Gasspeicher als gut gefüllt und nun steht erst einmal der Sommer bevor. Doch wie leicht sich eine unsichere Energieversorgung auf die Konjunktur auswirken kann, zeigt die ebenfalls am Montag veröffentlichte Inflationsrate, die die EU-Statistikbehörde errechnet hat. Demnach sank die Preissteigerung im Mai um 0,2 Punkte auf 0,5 Prozent im Vergleich zum Vormonat. Wichtigster Grund: die sinkenden Gaspreise. Das aber könnte sich schnell ändern, wenn der Konflikt mit Moskau nicht beendet wird.

Danach sieht es jedoch derzeit nicht aus. Im Gegenteil. Beobachter zweifeln, das Russland und sein Energieriese die fehlenden Einnahmen aus der Ukraine so einfach wegstecken können. Hinzu kommt die wachsende Bereitschaft der EU, das Pipeline-Projekt „South Stream“, mit dem die russischen Lieferungen bis nach Bulgarien geleitet werden sollen, zu stoppen. Als Sofia in der Vorwoche den Bau durch das Schwarze Meer aussetzte, geschah dies auf Druck aus Brüssel. Russland könnte also selbst am Ende großen Schaden nehmen, wenn man nicht nur die Ukraine, sondern auch die EU als Kunden verliert.

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hat sich besorgt über eine Zuspitzung der Krise in der Ukraine geäußert. Es bestehe nach wie vor das Risiko einer neuen Spaltung Europas, warnte Steinmeier am Montag in Den Haag. „Der Abschuss des Transportflugzeuges am Wochenende war ein Rückschlag.“

Steinmeier war in Den Haag mit seinem niederländischen Amtskollegen Frans Timmermans zusammengekommen. Sowohl die Niederlande als auch Deutschland drängen die Ukraine und Russland zu bilateralen Gesprächen. Auch angesichts der Zuspitzung im Gasstreit sei „eine Lösung der Krise noch weit entfernt“.

Mit Informationen von dpa

Gaskonflikte 2009 und 2006

Im Januar 2009 stoppt Russland seine Gaslieferungen an die Ukraine, später fließt auch kein Gas mehr über das Transitland nach Westeuropa. Hintergrund ist ein Streit um Schulden. Für Deutschland gibt es ausreichend Reserven, andere Länder melden Totalausfälle. Knapp zwei Wochen später unterzeichnen die Versorger neue Abkommen, das Gas fließt wieder. Für 2009 soll die Ukraine 20 Prozent Rabatt erhalten. Im Juli einigen sich der Staat, die EU-Kommission und internationale Geldgeber auf Hilfen von bis zu 1,2 Milliarden Euro. Im Jahr 2006 drosselt Russlands Gaskonzern Gazprom am Neujahrstag die Exporte an die Ukraine. Bei zahlreichen Abnehmerländern sinken die Liefermengen. Preis-Verhandlungen waren zuvor gescheitert. Gazprom hatte von 2006 an statt 50 bis zu 230 Dollar pro 1000 Kubikmeter gefordert. Auf Druck des Westens kommt es zu einer Einigung: Die Ukraine soll russisches Gas zu einem Preis von 95 Dollar (damals 80 Euro) bekommen. Das Frühwarnsystem der EU wurde nach dem Gasstreit im Jahr 2009 eingerichtet und soll Russland und die EU im Fall drohender Lieferengpässe zusammenbringen. „Wir sind besser vorbereitet, als wir es 2009 waren“, erklärte eine EU-Sprecherin. „Wir haben viel getan, um die Sicherheit der Gasversorgung zu verbessern.“ So seien die EU-Staaten besser vernetzt, zudem erlaubten mehr Gasleitungen den Fluss in beide Richtungen. Text: dpa

 
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