Es ist eine Absage mit politischer Brisanz: Bundespräsident Joachim Gauck wird im Februar nicht zu den Olympischen Winterspielen nach Sotschi reisen. Das teilte das Bundespräsidialamt der russischen Regierung mit. Eine Sprecherin des Bundespräsidenten bestätigte am Sonntag einen Bericht des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“. Gauck hatte in der Vergangenheit wiederholt mehr Rechtsstaatlichkeit und Medienfreiheit in Russland angemahnt. Das Land steht international wegen Menschenrechtsverletzungen sowie einem harschen Anti-Homosexuellen-Gesetz in der Kritik.
Vater war in Arbeitslager
Ob und wie Kanzlerin Angela Merkel (CDU) das Sportereignis besuchen wird, blieb zunächst offen. Es gebe derzeit noch keine Planungen zu einer möglichen Reise der Kanzlerin, sagte eine Regierungssprecherin. Diese Frage komme zu einem späteren Zeitpunkt auf die Tagesordnung.
Im deutschen Sport sorgte die Absage für Diskussionen: Mit einem Boykott habe dies nichts zu tun, sagte der Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), Michael Vesper. „Wer nicht hinfährt, der boykottiert nicht gleich etwas. Es ist mit Sicherheit nicht gegen die deutsche Mannschaft gerichtet.“ In Russland stieß die Absage auf Missbilligung: „Der deutsche Präsident Gauck kritisierte kein einziges Mal die Tötung von Kindern und Frauen in Pakistan und Afghanistan. Aber er verurteilt Russland so stark, dass er nicht einmal nach Sotschi reisen will“, schrieb der Chef des Auswärtigen Ausschusses im russischen Parlament, Alexej Puschkow, bei Twitter.
Gauck hatte 2012 die Olympischen Sommerspiele und die Paralympics in London besucht und will auch die deutschen Sotschi-Teilnehmer am 24. Februar bei ihrer Rückkehr in München empfangen. Gaucks Sprecherin wies darauf hin, dass es keine feste Regel gebe, dass Bundespräsidenten zu Winterspielen reisten. Auch Horst Köhler sei 2010 nicht im kanadischen Vancouver gewesen. Gauck hat Russland seit seinem Amtsantritt im März 2012 noch keinen offiziellen Besuch abgestattet. Sein Verhältnis zu Russland gilt als angespannt, Gaucks Vater war mehrere Jahre in einem sibirischen Arbeitslager interniert.
Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning, nannte die Entscheidung des Präsidenten eine „wunderbare Geste der Unterstützung für alle russischen Bürger, die sich für Meinungsfreiheit, Demokratie und Bürgerrechte einsetzen“. „Die Winterspiele in Sotschi waren geplant als Zarenfestspiele“, sagte er. Diese Rechnung gehe jedoch nicht mehr auf. „Die Weltöffentlichkeit lässt sich von solchen Inszenierungen nicht darüber hinwegtäuschen, dass Russland an anderer Stelle die Menschenrechte massiv verletzt.“
Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) betonte gegenüber der „Rheinischen Post“: „Das ist eine starke Haltung des Bundespräsidenten und ein ermutigendes Signal.“ Der bisherige Koordinator für die deutsch-russischen Beziehungen, Unionsfraktionsvize Andreas Schockenhoff (CDU), äußerte sich zurückhaltender: „Das ist eine persönliche Entscheidung von Bundespräsident Joachim Gauck, die Respekt verdient“, sagte er. Gaucks Abwesenheit könnte die weltweite Debatte über die Sotschi-Spiele intensivieren. Aktivisten hatten zu einem Boykott aufgerufen. Diese Forderungen waren von US-Präsident Barack Obama und dem britischen Premierminister David Cameron zurückgewiesen worden. „Der Spiegel“ hatte im August unter Berufung auf das Kanzleramt berichtet, auch Merkel lehne einen Boykott ab.