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RIGA
Gaucks baltische Reise
Von den dpa-Korrespondenten T. Lanig und A. Welscher
 |  aktualisiert: 11.12.2019 15:29 Uhr

Das Thema springt den Bundespräsidenten förmlich an – so wie wohl jeden der Tausenden Touristen, die Riga in diesen Tagen bevölkern: Neben dem malerischen Schwarzhäupterhaus der Kaufleute aus dem 14. Jahrhundert bildet das dunkle, klotzige Museum der Okkupation einen fast schmerzhaften Kontrast. Die Blütezeit der Hanse und die Besatzung durch Nazis und Sowjets beschreiben die widerspruchsvolle Geschichte dieser Stadt, die stark deutsch geprägt ist – Partnerstadt nicht nur von Bremen, sondern auch von Rostock, der Heimat von Joachim Gauck.

Der Bundespräsident als Mensch von der Ostsee, als Protestant und als Aufarbeiter kommunistischer Vergangenheit: Hier in Riga ist der Ex-Pastor und Ex-Chef der Stasi-Unterlagenbehörde ein willkommener Gast. „Das hat auch ein bisschen mit meiner Person zu tun“, weiß Gauck natürlich.

Abkommen zur Berufsbildung

Aber ganz einfach macht er es den Letten nicht, denn er will einen selbstkritischen Umgang mit der Geschichte. Irgendwann, sagt er, kommt die Phase, in der sich die Menschen nach ihrer eigenen Verantwortung fragen müssen, nicht nur Diktatoren und Besatzer für die Verbrechen der Vergangenheit verantwortlich machen, sondern sich selbst der eigenen Schuld stellen.

Auch darüber will Gauck mit seinen Gesprächspartnern in Lettland sowie später in Estland und Litauen reden. Dass es nicht nur um die Vergangenheit geht, dafür sorgt auch die Wirtschaftsdelegation, die ihn begleitet. Deutsche Investitionen sind in den baltischen Ländern willkommen. Gauck lobt den harten Sparkurs, mit dem Lettland auf die Finanzkrise reagiert. Dennoch leidet das Land unter massiver Abwanderung, Arbeitsplätze fehlen gerade für junge Menschen. Am Montag soll ein Abkommen zur Berufsbildung unterzeichnet werden.

Dass dem Bundespräsidenten in diesen Tagen in Riga keine ungeteilte Aufmerksamkeit zuteilwird, liegt – für manche Gäste zunächst fast unbegreiflich – an einem kulturellen Großereignis: dem Sängerfest. Zehntausende kommen in Riga zusammen, singen in bunten Trachten auf einer riesigen Freilichtbühne von Generation zu Generation überlieferte Volkslieder. Gauck gefällt das, er bedauert, dass in Deutschland eher weniger gesungen wird.

In der wechselvollen Geschichte Lettlands und der beiden anderen baltischen Staaten Estland und Litauen waren die Sängerfeste ein Mittel, die nationale und kulturelle Identität über Jahrhunderte der Fremdherrschaft hinweg zu bewahren. Mit dem gemeinsamen Gesang demonstrierten die Balten gerade in Krisenzeiten ihren Selbstbehauptungswillen. In der „Singenden Revolution“ gelang es den drei Völkern, 1990 und 1991 friedlich ihre Unabhängigkeit von der Sowjetunion zurückerlangen.

Am Sonntagabend stand im Rigaer Stadtteil Mezaparks, zu deutsch Kaiserwald, das Finale des Sängerfestes an. „Das ist ein Ereignis“, meint eine begeisterte Zuschauerin, „mindestens so wichtig wie das Endspiel der Fußball-Weltmeisterschaft.“

 
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