Gertraud Gruber empfängt mich in einem zartlilafarbenen Kostüm im oberbayerischen Landhausstil. Sie ist dezent geschminkt, trägt wenig Schmuck und an einer Schnur um ihren Hals baumelt eine fliederfarbene Brille.
Sie sei heute im Stress, sagt Gertraud Gruber (91). Fünf Kosmetikerinnen seien krank, auch die Chefkosmetikerin. Weil jede von ihnen pro Tag sechs Gäste behandelt, musste heute mächtig improvisiert werden. „Aber wir schaffen es trotzdem“, gibt die zierliche alte Dame energisch das Ziel vor. Sie packt mit an. „Wenn man dem Personal etwas abverlangt, muss man selber vorangehen“, sagt sie, und ihre blauen Augen leuchten.
Menschenskinder, die Frau ist 91 Jahre alt! Wie (lange) sie das (noch) schafft? Während ich über diese Frage nachdenke, nippt Gertraud Gruber an dem gedeckten Apfelkuchen, den ihr ihre Steuerberaterin und Vertraute Irene Bopp gereicht hat. Wir sitzen in einem gemütlichen Winkel im Esszimmer des Haupthauses der Gertraud-Gruber-Schönheitsfarm in Rottach-Egern am Tegernsee, der Blick aus dem Fenster fällt auf Hirschberg und Ringberg, hinter denen gerade die Sonne versinkt.
Was Gertraud Gruber mit Unterfranken zu tun hat? Sie ist die Besitzerin des Benediktushofs in Holzkirchen (Lkr. Würzburg). 2002 hatte der Benediktinermönch und Zen-Meister Willigis Jäger die Öffentlichkeit mit der Nachricht überrascht, man werde bei Holzkirchen ein „spirituelles Tagungszentrum“ errichten – mit dem Geld von Gertraud Gruber. Seitdem ist in Holzkirchen aus einem heruntergekommenen ehemaligen Benediktinerkloster eine der größten derartigen Einrichtungen Deutschlands, wenn nicht Europas, entstanden. Fast 40 000 Übernachtungen pro Jahr sprechen für sich.
Gertraud Gruber, Jahrgang 1921, und Willigis Jäger, Jahrgang 1925, sind langjährige Weggefährten. In Klöstern, beim Meditieren haben sie sich vor rund 40 Jahren kennengelernt, so erzählt es Gertraud Gruber. „Yoga hat mich schon immer interessiert, so bin ich dazu gekommen.“ Später habe sie im Haus St. Benedikt in Würzburg regelmäßig Kurse bei ihm gemacht. „Willigis macht Mut, stärkt den Rücken und zeigt einem den Weg. Das hat im Lauf der Jahre mein Leben geprägt und mir sehr geholfen. Was ich dort lerne, kann ich an meine Gästinnen weitergeben“, berichtet Gertraud Gruber.
Jäger war Ende 2001 vom Vatikan mit einem Schweigegebot belegt worden, weil sich nach Ansicht der Glaubenskongregation seine Lehre nicht mehr mit den Dogmen der katholischen Kirche deckte. Doch Willigis Jäger schwieg nicht. Er verließ das Kloster Münsterschwarzach. Seit Ende 2003 wohnt und lehrt er im Benediktushof.
Ihre Investition in Holzkirchen habe Irene Bopp angeregt. „Der arme Willigis hatte solche Schwierigkeiten, wir wollten ihm einen neuen Wirkungskreis schaffen“, schildert Gertraud Gruber. „Natürlich auch mit einem Rechenexempel, ob es auch wirtschaftlich ist“, ergänzt Irene Bopp, die die Firma Gruber seit 1975 in Vermögensangelegenheiten berät. Inzwischen habe der Benediktushof 48 Beschäftigte und „das ganze Dorf ist dankbar“, gibt Irene Bopp Äußerungen von Holzkirchener Bürgern wieder.
Gertraud Grubers Wohlstand hat sich aus bescheidenen Anfängen entwickelt. Die gebürtige Münchnerin war während des Krieges nach Rottach-Egern gekommen und wurde verpflichtet, in einem Lazarett zu arbeiten. Eigentlich hatte sie Tänzerin werden wollen, doch wegen des Krieges wurde daraus nichts, und sie machte eine Ausbildung zur Heilgymnastin. Nach Kriegsende absolvierte sie eine Kosmetikschule in München und ließ sich 1949 als Kosmetikerin in Rottach-Egern nieder. Hier lernte sie ihren Mann Josef Gruber kennen und gründete 1955 mit ihm zusammen Europas erste Schönheitsfarm. Ein Foto aus diesen Gründerjahren ist auf der Homepage ihres Unternehmens zu sehen. Es zeigt sie als fröhlich lachende dunkelhaarige junge Frau mit Halstuch und Hemdbluse.
In einem halben Jahrhundert hat Gertraud Gruber aus der Schönheitsfarm eine prosperierende Firma gemacht. Neben der Behandlung von erholungsbedürftigen und schönheitsbewussten Damen – die Farm in Rottach-Egern hat heute 88 Mitarbeiter – florieren die Produktion und der Vertrieb von Gertraud-Gruber-Kosmetik. Bundesweit rund 1500 Vertragsinstitute oder autorisierte Gruber-Fachkosmetikerinnen verwenden Gruber-Pflegeprodukte, Cremes und dekorative Kosmetik. Geliefert werden die „auf natürlicher Basis“ erstellten Produkte weltweit.
„Mein Mann und ich, wir haben hart gearbeitet. Wir hatten nicht mal Zeit, Geld auszugeben“, sagt die Unternehmerin rückblickend. „Andere haben sich irgendwo eine Villa gekauft, wir haben unser Geld in die Firma gesteckt.“
Auch für eigene Kinder blieb keine Zeit, beantwortet sie die Frage nach möglichen Erben. Daher habe sie mit ihrem vor nunmehr 21 Jahren gestorbenen Mann die Gertraud und Josef Gruber Stiftung gegründet. „Ein Drittel für Alte und Kranke, ein Drittel für Kinder und ein Drittel für Tiere.“ So habe sie es mit ihrem Mann besprochen, sagt Gertraud Gruber.
Für Schwerkranke und Sterbende hat sie 2004 in Weyarn (Lkr. Miesbach) ein Hospiz gebaut. In Rottach-Egern unterstützt sie die gemeindliche Kindertagesstätte. Ihr jüngstes Projekt ist ein Aiderbichl-Tierasyl an den Osterseen bei Iffeldorf südlich von München, das kommendes Jahr eröffnet werden soll.
Den Benediktushof in Holzkirchen besucht Gertraud Gruber regelmäßig: entweder um dort an Kursen teilzunehmen, oder um wieder einmal die Fertigstellung eines Gebäudes zu feiern. Dieser Tage wurden die Arbeiten am renovierten Ostflügel des Ensembles im Tal des Aalbachs abgeschlossen. Die Einweihung soll an Willigis Jägers 88. Geburtstag am 7. März 2013 gefeiert werden.
Wir sprechen über den sogenannten Prälatenbau im Benediktushof, den Gertraud Gruber der Gemeinde abkaufen will und auf dessen Dach zur Zeit noch ein Glockentürmchen thront. Das soll nun versetzt werden, was zeitweise gewisse Dissonanzen mit der katholischen Kirchenstiftung zur Folge hatte. „Was ist mit dem Glockentürmchen?“, fragt Gertraud Gruber irritiert. Irene Bopp winkt ab. Die Steuerberaterin, stets informiert über die jüngsten Entwicklungen in Holzkirchen, hat dies offenbar nicht mit ihr besprochen. Nimmt die Investorin Einfluss auf das Programm der Tagungsstätte? „In den ersten zwei, drei Jahren haben wir das Programm vor der Veröffentlichung angeschaut“, sagt Irene Bopp. Mittlerweile würden sie sich dort allenfalls Anregungen holen.
In ihrem Element ist Gertraud Gruber, wenn sie über ihre Schönheitsfarm spricht. Hier kümmere man sich nicht nur um Falten und Äußerlichkeiten, sondern betreibe „ganzheitliche vorsorgende Gesundheitspflege“. Dazu gehöre alles, „was leichter macht und beruhigt, was Freude macht und dazu beiträgt, dass sich die Frauen gelassener und jugendlicher fühlen“: Yoga, Qigong, meditativer Tanz, Meditation.
Es gibt also durchaus Schnittmengen mit dem Angebot des Benediktushofs, dort aber eine Kosmetik-Abteilung zu errichten, steht nicht zur Debatte. Immerhin: Einmal im Jahr kommt sie mit 80 Gertraud-Gruber-Kosmetikerinnen eine Woche nach Holzkirchen. Stichwort: Schönheit von innen durch meditative Techniken.
Ihr Arbeitstag sei heute nicht mehr so lang wie früher, als sie grundsätzlich um 7 Uhr morgens angefangen hat, erzählt die Chefin der Schönheitsfarm. „Von 9.30 Uhr bis Mittag, dann ein Schläfchen, dann noch einmal nachmittags.“ Einen freien Nachmittag pro Woche habe sie sich aber ausbedungen.
Warum sie trotz ihres hohen Alters die Hände nicht in den Schoß legt? „Einer muss die Entscheidungen treffen“, sagt sie. „Außerdem arbeite ich sehr gern mit jungen Menschen, das macht mir Freude.“ Motiviert wird sie außerdem „durch die hohe Anerkennung meiner Gäste, viele kommen schon seit Jahren und bringen inzwischen ihre Töchter oder Enkelinnen mit“.
Unter den Frauen, die sich in der Schönheitsfarm verwöhnen lassen oder ließen, sind etliche berühmte Künstlerinnen, Schauspielerinnen, Politikerinnen, Journalistinnen, meist nicht mehr die Jüngsten. „Einer meiner Lieblingsgäste war Loki Schmidt“, erzählt Frau Gruber, während wir durch den Flur laufen, in dem Fotos mit persönlichen Widmungen hängen: Bibi Jones, Inge Meysel, Erika Köth, die Keßler-Zwillinge, Caterina Valente, Heidelinde Weis haben ihr Konterfei hinterlassen.
„Ich habe durch diese Arbeit viele Freunde gefunden, und ich werde auch aufgefangen, wenn ich es nötig habe. Das hätte ich wohl nicht mit einem anderen Beruf“, sagt Gertraud Gruber nachdenklich.
In ihre Heimatstadt München kommt sie, weil sie so „mit Arbeit eingedeckt“ sei, nur sehr selten. Dabei wäre die Landeshauptstadt vom Tegernseer Tal aus mit der Bayerischen Oberland Bahn in einer Stunde zu erreichen. Dieser Tage war sie wieder einmal in der Stadt ihrer Kindheit: „München hat sich mächtig verändert, es ist alles so groß und luxuriös geworden“, sagt sie.
Sie wohnt unprätentiös zusammen mit zwölf wechselnden „Gästinnen“ – auf der Farm werden nur Frauen betreut – im „Haus Gertraud“ auf dem Gelände der Schönheitsfarm. Der Tegernsee ist nur einen Steinwurf entfernt – „eine begnadete Gegend“, findet Gertraud Gruber. „Ich verbringe gern hier meine Freizeit.“ Dann geht sie mit ihrer Spitzmischlingshündin Lily spazieren.
„Ich bin Tiernärrin, ein Bauernhof war immer mein Traum“, sinniert sie. Ein Stück von diesem Traum lebt sie jetzt, wenn sie wie fast jeden Samstagnachmittag zum Gut Aiderbichl nach Iffeldorf fährt, um dort die Tiere zu besuchen, die vor ihrer Aufnahme in dem Tierasyl gequält oder vernachlässigt wurden. „Mein Liebling ist das Kamel Franziska.“ Und sie erzählt vom Schicksal der trächtigen Kamelstute, deren Fohlen Hansi aus unerklärlichen Gründen starb.
Beim Blick zurück auf ihr Leben und ihre Karriere erfüllt sie „große Dankbarkeit“. Ob sie weitere Pläne hat? „Ich bin fast 92 und habe keine Zukunftspläne mehr“, lautet die Antwort. Sie wolle all das jetzt genießen und hoffe, Ruhe und Zeit zu haben – für Besuche bei den Tieren und auf dem Benediktushof.
Der Benediktushof
In Holzkirchen wurde im Jahr 2003 die Benediktushof Seminar- und Tagungszentrum GmbH gegründet. Sie betreibt den Benediktushof in Holzkirchen (Lkr. Würzburg) als Zentrum für spirituelle Wege und ist Veranstalter von Kursen, Seminaren und Tagungen. Die GmbH hat zwei Gesellschafter: Gertraud Gruber, die gleichzeitig Eigentümerin der Grundstücke und Gebäude ist, die sie der Benediktushof GmbH vermietet. Und die gemeinnützige Akademie West-Östliche Weisheit GmbH. Auf einer Nutzfläche von rund 5500 Quadratmetern verfügt der Benediktushof über insgesamt 179 Übernachtungsmöglichkeiten. Text: geha