Andreas Scheuer hätte gewarnt sein können. Als er 2018 Verkehrsminister wurde, lagen die Gutachten zur Ausländermaut auf dem Tisch. Allein der wissenschaftliche Dienst des Bundestages hatte sich vier Mal mit der Frage beschäftigt, ob das CSU-Vorzeigeprojekt mit EU-Recht vereinbar ist.
Die Juristen kamen vier Mal zu dem Schluss, dass die Maut wegen der mittelbaren Diskriminierung von EU-Bürgern dagegen verstößt. Auch der Rechtsprofessor Walter Obwexer von der Universität Innsbruck warnte in zwei Untersuchungen: Einer Klage gegen Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof komme „begründete Aussicht auf Erfolg zu“. Der Professor sollte recht behalten.
Kurz nach seiner Vereidigung als Minister gab sich Scheuer felsenfest davon überzeugt, dass er die umstrittene Abgabe allen Widerständen und Warnungen zum Trotz durchsetzen könne. „Die Pkw-Maut ist beschlossen und kommt“, wischte er. Einwände beiseite, um den Wegezoll für Autofahrer aus dem Ausland auch ohne eine abschließende Entscheidung der Europarichter voranzutreiben.
Österreich und die Niederlande kündigten eine Klage 2017 an
Bereits im Herbst 2017 hatten Österreich und die Niederlande gegen den CSU-Wahlkampfschlager geklagt. Beide Länder fanden, dass ihre Bürger diskriminiert würden, wenn die Deutschen zwar auch eine Vignette würden kaufen müssten, der Betrag aber anschließend aber mit der Kfz-Steuer verrechnet würde. Doch die CSU hatte schon erhebliche Energie in das Vorhaben gesteckt, das im Wahlkampf zur Bundestagswahl 2013 für Beifall in den Bierzelten sorgte. Das Motto: „Wenn wir schon ein Pickerl bei den Österreichern kaufen müssen, sollen sie jetzt auch endlich bei uns zahlen.“
Scheuers Vorgänger Alexander Dobrindt hatte neben der Bewältigung des Diesel-Skandals seine Kraft für die Maut aufgewendet. Dobrindt agierte vorsichtiger als sein Nachfolger im Amt und wollte ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes abwarten, bevor er Mautbetreiber mit konkreten Vorbereitungen beauftragte. Scheuer ging hingegen ins Risiko. Kurz vor Weihnachten 2018 setzte er die Verträge mit den Unternehmen Kapsch und Eventim auf. „Die technische und organisatorische Umsetzung und der Aufbau der Systeme können nun ganz konkret beginnen“, erklärte der CSU-Mann. Der Passauer konnte sich wie seine Gegner auf Gutachten stützen, die seine Position untermauerten. Der Staatsrechtler Christian Hillgruber von der Universität Bonn hielt die Ausländermaut für vereinbar mit europäischem Recht. Zur gleichen Bewertung kam der Wirtschaftswissenschaftler Fritz Söllner von der Technischen Universität Ilmenau.
„Unsichere Rechtslage hätte neue Gutachten erfordert“
Sechs Jahre nach den ersten Bierzeltreden pro Maut sollte sich herausstellen, dass ihre Gegner die besseren Experten auf ihrer Seite hatten. Die zitierten Gutachten stammen allesamt aus den Jahren 2014 bis 2017. Wie aus einer vom Verkehrsministerium an den Verkehrsausschuss übersendeten Liste hervorgeht, gibt es keine neueren Expertisen – ein schweres Versäumnis, findet der Grünen-Verkehrspolitiker Stephan Kühn. „Erst letzte Woche hatte Scheuer während seiner Rede im Bundestag behauptet, dass sein Haus interne und externe Gutachten zu der Frage vergeben hätte, ob man in der unsicheren Rechtslage vergeben solle oder nicht“, sagte Kühn dieser Redaktion. Das sei ob der unsicheren Rechtslage angemessen gewesen. „Andreas Scheuer hat sich für das Zocken entschieden und verloren“, so Kühn. Er und seine Grünen haben das Lieblingsprojekt der Christsozialen von Anfang an heftig bekämpft und sehen sich durch das Maut-Fiasko bestätigt.
Dem Verkehrsminister machen sie nun richtig Druck. Die Grünen haben einen Katalog mit über 60 Fragen an Scheuer geschickt und ihm bis 10. Juli Zeit gegeben, diese Fragen zu beantworten. Andernfalls soll mit Linken und der FDP über einen Untersuchungsausschuss beraten werden. Die Abgeordneten können dann die Vorlage von Akten aus den Ministerien verlangen und Zeugen vernehmen. Im Zentrum des Interesses steht jetzt, wie viel Geld der verkorkste Wahlkampfschlager die Steuerzahler kosten wird.
Die beiden Mautbetreiber haben sich vertraglich abgesichert, im Falle eines Maut-Verbots durch die Europarichter entschädigt zu werden. Die Schätzungen darüber reichen unter den Verkehrspolitikern von 300 Millionen Euro bis zu zwei Milliarden Euro im schlimmsten Fall.