„Berlin ist sexy, aber Deutschland ist vielfältiger als die Hauptstadt“, brachte Julia Klöckner, Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, das Problem auf den Punkt: Es gibt attraktive Städte wie Berlin, aber auf dem Land fühlen sich Menschen mancherorts abgehängt. Es fehlen Busverbindungen, Schulen, Ärzte, ein stabiles Mobilfunknetz und schnelles Internet. Ein neues Bündnis des Ministeriums mit dem Industrie- und Handelskammertag, dem Landkreistag, dem Städte- und Gemeindebund und dem Zentralverband des deutschen Handwerks möchte das ändern. Wie das geschehen soll, das erklärten sie am Mittwoch anlässlich der Grünen Woche in Berlin.
Eine „Da-Bleibe-Vorsorge“ wolle man schaffen, die über die reine Daseinsvorsorge hinausgehe, sagte Klöckner. Als Ko-Vorsitzende der Kommission für gleichwertige Lebensverhältnisse sei es ihr wichtig gewesen, ein Bündnis mit den Partnern vor Ort einzugehen. Rund 57 Prozent der deutschen Bevölkerung lebt in den sogenannten ländlichen Räumen, die mehr als 90 Prozent des Staatsgebiets ausmachen. Auf dem Land ist ein Großteil der kleinen und mittelständischen Unternehmen ansässig, auch viele Weltmarktführer. Große Teile Bayerns werden im Landatlas des Ministeriums als „äußerst ländlich“ eingestuft, während es in Baden-Württemberg mehr „kaum ländliche“ Ballungsräume gibt.
Spaltung des Landes verhindern
Die politischen Scheinwerfer dürften nicht immer auf die Probleme solcher Ballungsräume gerichtet sein, sagte Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds. Während in Berlin, Köln und München Wohnraummangel herrsche, stünden im ländlichen Raum 1,5 Millionen Wohnungen leer. Um die Spaltung des Landes zu verhindern, müssten vor allem Bildungseinrichtungen auf dem Land ausgebaut werden. Diese Forderung unterstützte auch der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, Eric Schweitzer. Firmen könnten Fachkräfte nur in einem attraktiven Umfeld an sich binden, dazu gehört laut Schweitzer auch eine funktionsfähige Gesundheits-Infrastruktur. Wichtig für die Unternehmen selbst sei aber vor allem ein flächendeckendes Glasfasernetz.
„Wir wollen Glasfaser bis ins letzte Dorf“, sagte der Präsident des Deutschen Landkreistages, Reinhard Sager – „sogar bis dahin, wo nicht mal mehr eine Milchkanne ist.“ Auch der Ausbau des Mobilfunknetzes zum 5G-Standard sei Thema im ländlichen Raum, oft gebe es Widerstand gegen den Bau neuer Funkmasten. „Bisher ist der Ausbau aber nicht an fehlenden Masten gescheitert“, so Sager.
Investitionsrückstand auf dem Land
Klöckner nahm die Mobilfunkanbieter selbst in die Pflicht: „Es gibt die Big Player, die die Infrastruktur bauen und keinen anderen auf dem Markt haben wollen“. Eine Lösung sieht die CDU-Politikerin im nationalen Roaming, bei dem kleinere Anbieter Fremdmasten mitnutzen und sich dafür finanziell am Ausbau beteiligen sollen. Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer warnte, wenn Handwerksbetriebe nicht an der Digitalisierung teilhaben könnten, bedeute das für die jeweilige Region einen erheblichen Wertschöpfungsverlust.
Wie aber soll der ländliche Raum nun konkret gestärkt werden? Reinhard Sager vom Landkreistag appellierte an den Bundestag, die Gemeinschaftsaufgabe „Agrarstruktur und Küstenschutz“ von 1969 weiterzuentwickeln. Das könne neue Fördermöglichkeiten bringen, der Bundesrat habe dem Vorhaben bereits zugestimmt. Um den hohen Investitionsrückstand in ländlichen Gemeinden zu beseitigen, benötige Deutschland aber auch eine andere Steuerverteilung, nicht nur temporäre Förderprogramme. „Wir haben für Gemeinden, Städte und Kreise über 23 Prozent der staatlichen Ausgaben, die jährlich zu veranlassen sind, aber nur 14 Prozent der Steuermittel“, kritisierte Sager.
Das Aktionsbündnis „Leben auf dem Land“ möchte neben seinen politischen Forderungen auch konkrete Projekte umsetzen. Jeder Bündnispartner bearbeitet dabei einen thematischen Schwerpunkt – von der betrieblichen Standortentwicklung über die Bindung junger Menschen an ländliche Räume und die Nahversorgung bis hin zur Stärkung des Ehrenamts auf dem Land.