Für ein faires Internet und guten Journalismus
PRO: Das Netz bleibt trotz der Reform frei und offen. Und auch in Zukunft wird man suchen und finden können. Trotzdem stilisiert Google das Gesetz zu einer Grundsatzfrage um die Freiheit des Netzes und der Information. Eine maßlose Übertreibung.
Stellen Sie sich vor, die Firma, für die Sie arbeiten, hat etwas pro-duziert: ein Auto, ein Flugzeug, einen Film oder ein Buch. Sie und Ihre Familie leben davon, dass es Ihrer Firma gut geht und Sie pünktlich zum Monatsende Ihr Gehalt bekommen. Vermutlich sagt Ihnen Ihr gesundes Rechtsempfinden, dass Leute, die Produkte Ihrer Firma nutzen möchten, dafür bezahlen sollten. Vermutlich denken Sie auch, dass Leute, die für diese Produkte nicht bezahlen möchten, wenigstens vorher fragen müssten, bevor sie mit einem Auto ihrer Firma vom Hof fahren, ein Buch einstecken oder einen Film kopieren – alles andere würden Sie wahrscheinlich als unfair empfinden.
Die Modernisierung des Urheberrechts, die derzeit vom Bundestag beraten wird, sieht vor, dieses selbstverständliche Prinzip ins Internet zu übertragen: Wer die digitalen Produkte von Firmen nutzen möchte, sollte vorher fragen. Genauer gesagt geht es bei dieser Reform nur um die digitalen Produkte von Presseverlagen. Für fast alle anderen Medien wie Film, Musik oder Fernsehen gibt es solche Vorschriften seit Jahrzehnten. Nun soll diese Gesetzeslücke endlich geschlossen werden. Presseverlage sollen nicht länger benachteiligt bleiben. Dafür wird es höchste Zeit, denn im Laufe der vergangenen Jahre ist eine blühende Industrie entstanden, die gut davon lebt, Artikel und Fotos von den Webseiten der Verlage zu kopieren und weiter zu verkaufen, ohne die Verlage oder Journalisten an den Erlösen zu beteiligen. Das ist unfair.
Im Internet geht Kopieren ganz einfach. Man programmiert Computer, in regelmäßigen Abständen auf die Seiten renommierter Redaktionen zu gehen und alles Interessante herunter zu laden. Diese Kopien bündelt man und wertet sie kommerziell aus. Zum Beispiel, indem die Artikel mit Werbung garniert auf der eigenen Webseite angezeigt werden. Oder indem man die Artikel benutzt, um Besucher in eigene Angebote zu lockern, die mit Journalismus gar nichts zu tun haben. Die Möglichkeiten sind fast unbegrenzt.
Vorgehen können die Verlage gegen diese Kopien kaum. Nach deutschem Gesetz haben sie kein eigenes Recht an ihrer Arbeit. Alle Rechte liegen bei den Autoren. Damit hinkt das deutsche Urhebergesetz weit hinter anderen Ländern her. Großbritannien, Kanada, Australien, USA – in der ganzen angelsächsischen Welt sind Verlage mit starken Rechten ausgestattet. Dort kann selbst klagen, wer bestohlen wurde. In Deutschland und anderen Län-dern Kontinentaleuropas müssen Presseverlage ihre Autoren bitten, ihnen nahezu alle Rechte abzutreten, damit sie vor Gericht etwas erreichen können. Natürlich geben Autoren nicht gern etwas ab, das ihnen gehört. Und selbst wenn sie es tun, reicht das meist nicht aus, um wirksam und effizient gegen Kopisten vorzugehen.
Dies schadet der lebendigen und vielfältigen Pressekultur. Kein anderes Land der Welt kann sich an so vielen unterschiedlichen und anspruchsvollen Redaktionen erfreuen wie Deutschland. Redaktionen, die längst im Internet angekommen sind und dort oft mehr Leserinnen und Leser erreichen als auf Papier. Ihre Bericht-erstattung, ihre kritisch-investigative Recherche, ihre Kommentierung und Einordnung, ihre Regionalkompetenz, aber auch ihre Unterhaltung tragen zum Erfolg von Demokratie und Gesellschaft bei. Auch Blogger leisten etwas Unverzichtbares, aber genauso unverzichtbar sind Profijournalisten. Ihre Leistungen können durch nichts und niemanden ersetzt werden.
Mit der Reform des Urheberrechtsgesetzes möchte die Regierungskoalition dazu beitragen, die Kultur der freien Presse im Internet zu bewahren. Sie wählt dafür den mildesten Weg. Weder schafft sie eine Subvention, also eine direkte staatliche Zahlung – die Reform kostet den Steuerzahler gar nichts. Noch eine indirekte Subvention wie beim Energie-Einspeisegesetz – auf keiner Rechnung des Verbrauchers wird diese Reform je erscheinen. Noch werden die Autoren gezwungen, Rechte an Verlage abzugeben, damit die sich leichter gegen Kopisten zur Wehr setzen können. Noch wird irgendetwas verboten, unmöglich gemacht, aus dem Netz genommen oder den Augen der Öffentlichkeit entzogen. Das Einzige, was der Gesetzentwurf der Koalition sagt, ist dies: Wer Verlagsprodukte geschäftlich für sich selbst nutzen möchte, muss die Verlage vorher fragen. Das sollte eigentlich ganz selbstverständlich sein und ist nur fair.
Vorher fragen heißt nicht, dass man irgendwo anrufen oder komplizierte Formulare ausfüllen muss. Die Klärung kann elektronisch in Bruchteilen von Sekunden stattfinden. Gemeint ist damit ein rechtliches Prinzip. In der Praxis bedeutet dies, dass Lizenzverträge abgeschlossen werden, ob nun auf Papier oder elektronisch. Zum Lizenzpreis sagt das Gesetz nichts. Jeder Verlag darf weiterhin selbst entscheiden, ob er seine Produkte verschenken möchte oder nicht. Wenn er sich dafür entscheidet, Geld in Form von Lizenzgebühren zu nehmen, muss er die Autoren zwingend daran beteiligen – das schreibt das Gesetz ausdrücklich vor.
Gegen diese Reform hat Google eine großangelegte Werbekampagne auch auf der eigenen Webseite gestartet. Es ist wichtig, diesen Einwand zu verstehen und richtig einzuordnen. Warum ist Google überhaupt betroffen? Weil Google für sein „News“-Angebot ebenfalls auf Verlagsprodukte im Netz zugreift und kleine Teile daraus kopiert. Viele Leser klicken von Google News aus nicht mehr auf die Originalseiten durch, weil ihnen der Überblick dort schon reicht. Über Leser, die Google ihnen schickt, freut sich jeder Verlag. Dafür möchte er kein Geld bekommen, denn er kann mit diesen Lesern ja Geld auf seiner eigenen Seite verdienen. Aber jene Leser, die beim Verlag gar nicht mehr ankommen, weil sie mit Hilfe von kopierten Verlagsprodukten bei Aggregatoren finden, was sie suchen, sind Grund genug zur Sorge. Für diesen Anteil des Besucherverkehrs bei Aggregatoren sollten Verlage einen fairen Ausgleich erhalten. Dies verweigern die meisten Aggregatoren, auch Google, jedoch beharrlich seit Jahren.
Aus Sicht der Verlage ist Google nur einer von vielen Dutzend Aggregatoren – und längst nicht der wichtigste. Trotzdem stilisiert Google das anstehende Gesetz zu einer Grundsatzfrage um die Freiheit des Netzes und der Information. Eine maßlose Übertreibung. Auch nach der anstehenden Reform bleibt das Netz frei und offen. Und auch in Zukunft wird man suchen und finden können.
Die Modernisierung des Urheberrechts, die derzeit vom Bundestag beraten wird, sieht vor, dieses selbstverständliche Prinzip ins Internet zu übertragen: Wer die digitalen Produkte von Firmen nutzen möchte, sollte vorher fragen. Genauer gesagt geht es bei dieser Reform nur um die digitalen Produkte von Presseverlagen. Für fast alle anderen Medien wie Film, Musik oder Fernsehen gibt es solche Vorschriften seit Jahrzehnten. Nun soll diese Gesetzeslücke endlich geschlossen werden. Presseverlage sollen nicht länger benachteiligt bleiben. Dafür wird es höchste Zeit, denn im Laufe der vergangenen Jahre ist eine blühende Industrie entstanden, die gut davon lebt, Artikel und Fotos von den Webseiten der Verlage zu kopieren und weiter zu verkaufen, ohne die Verlage oder Journalisten an den Erlösen zu beteiligen. Das ist unfair.
- Der Presseschauder: Blog von Christoph Keese
Im Internet geht Kopieren ganz einfach. Man programmiert Computer, in regelmäßigen Abständen auf die Seiten renommierter Redaktionen zu gehen und alles Interessante herunter zu laden. Diese Kopien bündelt man und wertet sie kommerziell aus. Zum Beispiel, indem die Artikel mit Werbung garniert auf der eigenen Webseite angezeigt werden. Oder indem man die Artikel benutzt, um Besucher in eigene Angebote zu lockern, die mit Journalismus gar nichts zu tun haben. Die Möglichkeiten sind fast unbegrenzt.
Vorgehen können die Verlage gegen diese Kopien kaum. Nach deutschem Gesetz haben sie kein eigenes Recht an ihrer Arbeit. Alle Rechte liegen bei den Autoren. Damit hinkt das deutsche Urhebergesetz weit hinter anderen Ländern her. Großbritannien, Kanada, Australien, USA – in der ganzen angelsächsischen Welt sind Verlage mit starken Rechten ausgestattet. Dort kann selbst klagen, wer bestohlen wurde. In Deutschland und anderen Län-dern Kontinentaleuropas müssen Presseverlage ihre Autoren bitten, ihnen nahezu alle Rechte abzutreten, damit sie vor Gericht etwas erreichen können. Natürlich geben Autoren nicht gern etwas ab, das ihnen gehört. Und selbst wenn sie es tun, reicht das meist nicht aus, um wirksam und effizient gegen Kopisten vorzugehen.
Dies schadet der lebendigen und vielfältigen Pressekultur. Kein anderes Land der Welt kann sich an so vielen unterschiedlichen und anspruchsvollen Redaktionen erfreuen wie Deutschland. Redaktionen, die längst im Internet angekommen sind und dort oft mehr Leserinnen und Leser erreichen als auf Papier. Ihre Bericht-erstattung, ihre kritisch-investigative Recherche, ihre Kommentierung und Einordnung, ihre Regionalkompetenz, aber auch ihre Unterhaltung tragen zum Erfolg von Demokratie und Gesellschaft bei. Auch Blogger leisten etwas Unverzichtbares, aber genauso unverzichtbar sind Profijournalisten. Ihre Leistungen können durch nichts und niemanden ersetzt werden.
Mit der Reform des Urheberrechtsgesetzes möchte die Regierungskoalition dazu beitragen, die Kultur der freien Presse im Internet zu bewahren. Sie wählt dafür den mildesten Weg. Weder schafft sie eine Subvention, also eine direkte staatliche Zahlung – die Reform kostet den Steuerzahler gar nichts. Noch eine indirekte Subvention wie beim Energie-Einspeisegesetz – auf keiner Rechnung des Verbrauchers wird diese Reform je erscheinen. Noch werden die Autoren gezwungen, Rechte an Verlage abzugeben, damit die sich leichter gegen Kopisten zur Wehr setzen können. Noch wird irgendetwas verboten, unmöglich gemacht, aus dem Netz genommen oder den Augen der Öffentlichkeit entzogen. Das Einzige, was der Gesetzentwurf der Koalition sagt, ist dies: Wer Verlagsprodukte geschäftlich für sich selbst nutzen möchte, muss die Verlage vorher fragen. Das sollte eigentlich ganz selbstverständlich sein und ist nur fair.
Vorher fragen heißt nicht, dass man irgendwo anrufen oder komplizierte Formulare ausfüllen muss. Die Klärung kann elektronisch in Bruchteilen von Sekunden stattfinden. Gemeint ist damit ein rechtliches Prinzip. In der Praxis bedeutet dies, dass Lizenzverträge abgeschlossen werden, ob nun auf Papier oder elektronisch. Zum Lizenzpreis sagt das Gesetz nichts. Jeder Verlag darf weiterhin selbst entscheiden, ob er seine Produkte verschenken möchte oder nicht. Wenn er sich dafür entscheidet, Geld in Form von Lizenzgebühren zu nehmen, muss er die Autoren zwingend daran beteiligen – das schreibt das Gesetz ausdrücklich vor.
Gegen diese Reform hat Google eine großangelegte Werbekampagne auch auf der eigenen Webseite gestartet. Es ist wichtig, diesen Einwand zu verstehen und richtig einzuordnen. Warum ist Google überhaupt betroffen? Weil Google für sein „News“-Angebot ebenfalls auf Verlagsprodukte im Netz zugreift und kleine Teile daraus kopiert. Viele Leser klicken von Google News aus nicht mehr auf die Originalseiten durch, weil ihnen der Überblick dort schon reicht. Über Leser, die Google ihnen schickt, freut sich jeder Verlag. Dafür möchte er kein Geld bekommen, denn er kann mit diesen Lesern ja Geld auf seiner eigenen Seite verdienen. Aber jene Leser, die beim Verlag gar nicht mehr ankommen, weil sie mit Hilfe von kopierten Verlagsprodukten bei Aggregatoren finden, was sie suchen, sind Grund genug zur Sorge. Für diesen Anteil des Besucherverkehrs bei Aggregatoren sollten Verlage einen fairen Ausgleich erhalten. Dies verweigern die meisten Aggregatoren, auch Google, jedoch beharrlich seit Jahren.
Aus Sicht der Verlage ist Google nur einer von vielen Dutzend Aggregatoren – und längst nicht der wichtigste. Trotzdem stilisiert Google das anstehende Gesetz zu einer Grundsatzfrage um die Freiheit des Netzes und der Information. Eine maßlose Übertreibung. Auch nach der anstehenden Reform bleibt das Netz frei und offen. Und auch in Zukunft wird man suchen und finden können.
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