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„Für das Regime im Iran ist der Zug abgefahren“
Warum der Journalist Farhad Payar die Machthaber in seinem Heimatland Iran in der Sackgasse sieht.
Demonstranten protestieren in der zentraliranischen Stadt Isfahan gegen das islamistische Regime. Die Unruhen erfassten Mitte November weite Teile des Landes. Die Polizei reagierte vielerorts mit gezielten Schüssen.
Foto: dpa | Demonstranten protestieren in der zentraliranischen Stadt Isfahan gegen das islamistische Regime. Die Unruhen erfassten Mitte November weite Teile des Landes. Die Polizei reagierte vielerorts mit gezielten Schüssen.
Simon Kaminski
 |  aktualisiert: 14.12.2019 02:11 Uhr

Proteste gegen soziale Perspektivlosigkeit, Korruption, Willkür und Zensur gibt es seit 2017 im jährlichen Rhythmus. Verwackelte Aufnahmen von brennenden Tankstellen, rauchenden Barrikaden und flüchtenden Menschen kamen nun erneut aus der Islamischen Republik am Persischen Golf. Gleichen sich Bilder? Gleichen sich Ablauf und Ursachen für die Proteste? Nur auf den ersten Blick. „Die Regierung hat bemerkt, dass die Schwelle in der Bevölkerung, Gewalt anzuwenden, stark gesunken ist. Darauf reagieren die Sicherheitskräfte mit extremer Brutalität“, erklärt der leitende Redakteur des Onlinemagazins IranJournal, Farhad Payar, im Gespräch mit dieser Redaktion. Eine Dynamik, die völlig außer Kontrolle geraten könnte. „Innerhalb und außerhalb des Irans haben viele politisch aktive Oppositionelle davor gewarnt, dass die Bevölkerung kurz davor ist, sich zu bewaffnen“, sagt Payar. Der 62-jährige Journalist, Filmemacher und Theatermann kam 1980 aus dem Iran nach Deutschland. Er verfügt über ein Netz von Kontakten in seine alte Heimat.

„Das System ist nicht mehr reformierbar“

Agenturen meldeten Mitte November, dass der iranische Präsident Hassan Ruhani sein Land mit einer Benzinpreiserhöhung in eine Staatskrise gestürzt habe. Das ist richtig, aber auch falsch. Denn das Land steckt in einer Dauerkrise, aus der es, nach Payars Ansicht für die Machthaber keinen Ausweg mehr gibt: „Für das Regime ist der Zug abgefahren. Das System ist nicht mehr reformierbar. Wenn jetzt Zugeständnisse an die Demonstranten gemacht werden, würde das sofort eine Welle von Wünschen und Forderungen auslösen.“ Das könnte die starre Haltung der herrschenden Mullahs um Ayatollah Ali Chamenei, dem Staatsoberhaupt und religiösen Führer erklären.

Obwohl das mobile Internet über Tage abgeschaltet wurde, sickern – wenn auch nur schwer verifizierbare – Berichte über die Lage durch. Und die sind dramatisch: Laut Amnesty International sollen Sicherheitskräfte 143 Menschen getötet haben. Es gibt Augenzeugen, die von weit mehr Opfern ausgehen. Staatliche Behörden sprechen von neun Toten. Über 1000 Frauen und Männer sollen verhaftet worden sein. „Einreisen für Journalisten, die über die Unruhen berichten wollen, werden nicht genehmigt. Und Journalisten, die bereits im Land sind, durften ihre Büros nicht ohne Erlaubnis verlassen“, erklärt Payar den spärlichen Fluss an Informationen aus dem Krisenland.

Die Angst des Regimes ist groß. Schließlich haben die Islamisten nicht vergessen, dass auch ihre islamistische Revolution gegen Schah Reza Pahlavi Ende der 70er Jahre mit Unruhen und Straßenschlachten begann. Droht ihnen das gleiche Schicksal wie einst dem Schah?

Der 62-jährige Journalist Farhad Payar verfügt über viele Kontakte in den Iran, sein Heimatland.
Foto: Klaus Lange | Der 62-jährige Journalist Farhad Payar verfügt über viele Kontakte in den Iran, sein Heimatland.

Payar geht davon aus, dass nur noch rund zehn Prozent der Bevölkerung hinter den Mullahs stehen. „Da sind die Leute, die finanziell von dem Regime profitieren. Es gibt einflussreiche Familien, an denen keiner vorbeikommt.“ Zudem gebe es Iraner, die die Regierung aus religiöser Überzeugung verteidigen. Noch stützt das Regime seine Macht auf die bestens ausgerüsteten Revolutionsgarden, die auch über einen gefürchteten Geheimdienst verfügen. Doch in den unteren Rängen der Truppe „brodelt“ es. „Ich habe mit einigen von ihnen Kontakt. Oft wird der Sold nicht mehr rechtzeitig gezahlt“, sagt Payar. Es ist die Verzweiflung über die wachsende sozialen Kluft, die die Iraner zu den lebensgefährlichen Protesten treibt. Die Wut darüber, dass die Rechte der Frauen mit Füßen getreten werden, dass Kulturschaffende wie Feinde bekämpft werden, Oppositionelle in Gefängnissen verschwinden.

„Vor 40 Jahren war die Hoffnung groß. In seiner ersten Rede in Teheran nach seiner Rückkehr Anfang 1979 aus dem Exil in Frankreich versprach Ruhollah Chomeini, dass Wasser, Heizöl und Benzin kostenlos sein werden“, erinnert Payar. Doch nichts davon wurde wahr – im Gegenteil, der Lebensstandard brach immer weiter ein. Auch weil sich die neuen Herrscher in den 80er Jahren vom weltweiten Export ihrer islamistischen Revolution träumten. Mit Geld und Militärs mischt sich Teheran in die Konflikte in Syrien, im Irak, dem Libanon oder Jemen ein, unterstützt Terrorgruppen, während die eigene Bevölkerung darbt. Und die Sanktionen des Westens? „Natürlich haben die Sanktionen starke negative Auswirkungen. Aber die meisten Iraner sind sehr politisch – sie wissen, dass die Islamisten sie ausgelöst haben“, sagt Payar.

Die Atombombe ist ein Bluff, sagt Payar

Technisch und militärisch traut der 62-Jährige seinem Geburtsland weit weniger zu, als mancher Sicherheitsexperte in den USA und Europa: „Der Iran ist derzeit nicht annähernd in der Lage, eine Atombombe zu bauen. Das ist ein Bluff. Mitte der 90er Jahre war das Regime dazu entschlossen – damals war auch noch Geld da.“ Ähnlich ist sein Befund mit Blick auf Israel, das sich von Teheran bedroht fühlt. Der Iran habe weder die Waffen noch die Finanzkraft, um einen Krieg gegen Israel zu führen. Eine klare Position gegenüber dem Mullah-Regime fordert Farhad Payar von der EU. „Die Menschenrechtsverletzungen im Iran sind so gravierend, dass man versuchen sollte, die Geschäfte, die man dort macht, mit Auflagen zu verknüpfen – wenn das nicht geht, sollte man vorerst darauf verzichten.“ Wie kann im Iran ein Neuanfang gelingen? Payar setzt darauf, dass es auch in der Regierung Köpfe gibt, die erkennen, dass das Regime in der Sackgasse steckt: „Meine Hoffnung ist, dass es einen Putsch innerhalb des Systems gibt. Das würde die Gefahr von gewaltsamen Konflikten mindern.“

 
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