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BERLIN
Fremdenhass schadet dem Osten
dpa-Story: Ein Jahr Flüchtlingskrise       -  Das Archivfoto vom August 2015 zeigt Proteste gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel vor einer Flüchtlingsunterkunft in Heidenau.
Foto: Jan Woitas, dpa | Das Archivfoto vom August 2015 zeigt Proteste gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel vor einer Flüchtlingsunterkunft in Heidenau.
Bearbeitet von Martin Ferber
 |  aktualisiert: 11.12.2019 18:51 Uhr

Iris Gleicke weiß genau, wovon sie spricht. Die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium und Ost-Beauftragte der Bundesregierung kommt aus Schleusingen, einer Kleinstadt mit etwas mehr als 5000 Einwohnern am Südrand des Thüringer Waldes. Vor einigen Jahren erklärte die NPD Schleusingen zur „Frontstadt“ und zog am Vorabend des 30. Januar, dem Jahrestag der Machtergreifung Hitlers, mit einem Fackelzug durch die Innenstadt.

Wenn die SPD-Politikerin in offizieller Mission unterwegs ist und als Mitglied der Bundesregierung beispielsweise wie jüngst in Japan bei Investoren und Unternehmern Werbung für den Strandort Ostdeutschland macht, sind Vorfälle wie diese oder die Anschläge auf Flüchtlingsheime jedes Mal ein Thema. „Ich werde auf der ganzen Welt gefragt, ob Ostdeutschland sicher ist“, sagt sie. Im Ausland werde sehr genau registriert, was in Deutschland passiere und wie sich vor allem die Situation für Ausländer in den neuen Ländern darstelle. Und dies sei durchaus ein Standortnachteil im weltweiten Wettbewerb um Ansiedlungen. „Ein Standort, der sich nicht weltoffen präsentiert, hat ökonomische Probleme.

“ Darum schlägt Gleicke bei der Vorstellung des Jahresberichts der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit, den das Bundeskabinett am Mittwoch verabschiedet hat, Alarm und warnt in ungewöhnlich deutlicher Form vor den Folgen des zunehmenden Fremdenhasses zwischen Elbe und Oder.

Bedrohung Rechtsextremismus

„Der Rechtsextremismus in all seinen Spielarten stellt eine sehr ernste Bedrohung für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung der neuen Länder dar“, sagt die Ost-Beauftragte. Als Beispiel verweist sie auf Dresden.

Ausdrücklich weist Gleicke darauf hin, dass die große Mehrheit der Ostdeutschen weder fremdenfeindlich noch rechtsextrem sei, gleichwohl würden die Verfassungsschutzberichte der Länder belegen, „dass in Ostdeutschland im Verhältnis zur Einwohnerzahl eine besondere Häufung von fremdenfeindlichen und rechtsextremen Übergriffen zu verzeichnen ist“.

So seien gewalttätige Ausschreitungen wie in Heidenau und Freital zu „Symbolen eines sich verfestigenden Fremdenhasses geworden“, heißt es im Bericht der Bundesregierung, bei den Protesten gegen die Aufnahme von Flüchtlingen sei deutlich geworden, „dass die Grenzen zwischen bürgerlichen Protesten und rechtsextremistischen Agitationsformen zunehmend verschwimmen“.

Gleichzeitig warnt Gleicke davor, dass sich die wirtschaftliche Kluft zwischen West- und Ostdeutschland weiter öffnet. So ist die Arbeitslosigkeit in den neuen Ländern in den vergangenen Jahren zwar deutlich gesunken und liegt im Jahresdurchschnitt bei 9,2 Prozent, doch in der alten Bundesrepublik sind lediglich 5,7 Prozent ohne Job. Und während die Wirtschaft östlich der Elbe um 1,5 Prozent wuchs, wofür fast ausschließlich die positive Entwicklung Berlins verantwortlich ist, waren es im Westen sogar 1,7 Prozent – noch immer liegt die Wirtschaftskraft Ostdeutschlands pro Kopf rund 27,5 Prozent niedriger als in Westdeutschland. „Nichts deutet darauf hin, dass sich diese Lücke mittel- oder langfristig schließen könnte“, warnt Gleicke. Die Wirtschaft im Osten müsste eigentlich deutlich stärker wachsen als in den alten Ländern, um aufzuschließen, doch das Gegenteil sei der Fall.

Der Westen läuft dem Osten davon. Dies liege unter anderem an der Kleinteiligkeit der Unternehmen im Osten sowie an der anhaltenden Abwanderung.

Kluft öffnet sich weiter

Seit dem Jahr 2000 haben die ostdeutschen Länder 6,4 Prozent an Einwohnern verloren, lediglich Berlin verzeichnete ein Plus von 5,6 Prozent, während die Einwohnerzahl der alten Länder um 1,6 Prozent stieg. Die Bundesregierung sieht aus diesem Grund in der Zuwanderung eine Chance. Doch mit Blick auf die dort herrschende Fremdenfeindlichkeit kommt sie zu dem bitteren Schluss, dass diese Chancen „gerade dort verspielt werden, wo man in ganz besonderer Weise auf Zuzug angewiesen ist“.

 
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