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„Frau von der Leyen bricht mit der Tradition des Verdeckens“
Das Gespräch führte Nils Köhler
 |  aktualisiert: 19.05.2017 03:50 Uhr

Seit März 2011 werden keine Wehrpflichtigen mehr eingezogen, die Bundeswehr ist seither eine Freiwilligenarmee. Die Bürgergesellschaft müsse sich wieder mehr der Bundeswehr zuwenden, um den Rechtsextremismus innerhalb der Truppe zu kontrollieren und aufzudecken. Das fordert Michael Wolffsohn, ehemaliger Professor an der Bundeswehrhochschule München. Um die Bundeswehr wieder zum Spiegel der Gesellschaft zu machen, brauche es die Wiedereinführung der allgemeinen Dienst- oder Wehrpflicht.

Frage: Herr Wolffsohn, der Fall des Franco A. und die Funde von Wehrmachtsandenken haben die Öffentlichkeit aufgeschreckt. Gibt es einen Hang zur Rechtslastigkeit bei der Bundeswehr?

Michael Wolffsohn: Nicht bei der Bundeswehr, doch offenkundig in der Bundeswehr. Mich wundert das nicht, denn der Großteil der Bundesbürger entzieht sich seit langem der Bundeswehr. In dieses von der Gesellschaft und dann der Politik geschaffene Vakuum stoßen Rechtsextremisten und auch Islamisten.

Die Bundeswehr wurde 1956 unter Mitwirkung ehemaliger Wehrmachtsoffiziere wie dem ersten Generalinspekteur Adolf Heusinger gegründet. Feiert diese Tradition in der Truppe heute fröhliche Urständ?

Wolffsohn: Wollen Sie etwa auch Ex-Offiziere der Wehrmacht wie Gerd Schmückle in die Nazi-Ecke stellen? Auch bei Heusinger sieht das wahre Bild anders aus. Nicht zuletzt diese Männer haben das großartige Konzept „Bürger in Uniform“ und „Innere Führung“ mitaufgebaut.

Rechtsextremismus in der Bundeswehr war über Jahrzehnte kein offenes Problem. Hat mit der deutschen Wiedervereinigung und schließlich der Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht ein anderes Denken Einzug gehalten?

Wolffsohn: Rechtes Gedankengut in der Bundeswehr war immer ein Thema. Da aber lange die allgemeine Wehrpflicht galt, also die Mehrheit junger, männlicher Bürger in der Bundeswehr diente und die Bundeswehr ein Spiegel der Gesellschaft war, wurde der Rechtsextremismus von innen und außen kontrolliert und aufgedeckt.

Es gab schon 2007 klare Hinweise auf rechtsextremistisches Denken in Teilen der Bundeswehr. Josef Schuster, Vorsitzender des Zentralrats der Juden, ist besorgt und fürchtet, dass hier nur die Spitze des Eisberges ist. Stimmen Sie ihm zu?

Wolffsohn: Leider ja. Die Ursache ist aber diese Tatsache: eine Mini-Minderheit der Bürger trägt Uniform. Wenn sich die demokratische Allgemeinheit der Bundeswehr entzieht, gibt es dort viele wunderbare, doch überlastete Idealisten und zunehmend Extremisten.

Pflichten Sie der Verteidigungsministerin bei, die von einem Führungsproblem spricht, wofür sie intern heftig gescholten wurde?

Frau von der Leyen bricht mit der Tradition des Verdeckens. Das ist ebenso großartig wie mutig.

Die Bundeswehr ist auch ein Spiegel der Gesellschaft. War es da nicht zu erwarten, dass sich ein rechtsextremer Bodensatz abbildet?

Wolffsohn: Die Extremisten kommen vermehrt neben demokratischen Idealisten. Die Bürgermehrheit sagt „Ohne mich“. Solange das gilt, wird es noch viel mehr Extremisten geben. Die Demokraten machen es denen leicht.

Ein Rechtsextremer in der Bundeswehr ist auch nach der Philosophie der Inneren Führung nicht vorgesehen. Wer und was hat versagt?

Wolffsohn: Erstens die Bürgergesellschaft, zweitens die Verantwortlichen Kommandeure, die alles unter den Teppich gefegt haben und dabei ihre Dienstpflicht zur Information verletzten. Wer die Ministerin verantwortlich macht, lenkt von den Tatsachen ab. Hätte sie vorher alle und alles untersuchen lassen, wäre das Wort „Schnüffelstaat“ und „Big Brother“ gefallen.

Was muss die Bundeswehr tun, damit sie nicht zum Arbeitsplatz weiterer Extremisten wird?

Wolffsohn: Frau von der Leyen beim Ausmisten helfen. Aber mehr als die Bundeswehr müssen die Bundesbürger leisten, letztlich wieder die Allgemeine Dienst- oder Wehrpflicht.

Zur Person

Michael Wolffsohn, am 17. Mai 1947 in Tel Aviv geboren, war Professor an der Bundeswehrhochschule München (1981 bis 2012). Er ist der Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie, die 1939 vor den Nazis fliehen musste. Sein Großvater war der Verleger und Kinopionier Karl Wolffsohn, der von den Nazis enteignet und zunächst inhaftiert wurde, bevor auch er nach Palästina fliehen konnte. Michael Wolffsohn hat zahlreiche Bücher geschrieben, auch zu diesem Thema. Mehr in Michael Wolffsohns soeben erschienenem Buch „Deutschjüdische Glückskinder, Eine Weltgeschichte meiner Familie“, dtv, 426 Seiten, 978-3-423-28126-3, 26 Euro. nik/FOTO: T. müller
 
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