Die katholische Kirche soll Gläubige in schwierigen Situationen künftig stärker integrieren und mehr auf das persönliche Gewissen der Menschen achten. Das hat Papst Franziskus in einem lehramtlichen Dokument zum Thema Ehe, Familie und Sexualität gefordert, das am Freitag im Vatikan vorgestellt wurde. „Amoris Laetitia – Über die Liebe in der Familie“ ist die Antwort des Papstes auf die teilweise erbittert geführten Diskussionen bei zwei Bischofstreffen, sogenannten Synoden, in den Jahren 2014 und 2015. „Es geht darum alle einzugliedern“, schreibt Franziskus, „man muss jedem Einzelnen helfen, seinen eigenen Weg zu finden, an der kirchlichen Gemeinschaft teilzuhaben“.
Das nachsynodale Schreiben umfasst in seiner deutschen Version rund 300 Seiten und ist in neun Kapitel aufgeteilt, in denen teilweise auch ausführlich von Erotik in der Ehe, Sexualerziehung oder auch von Begriffen wie „sicherem Sex“ die Rede ist.
So schreibt Franziskus etwa, „die erotische Dimension der Liebe“ sei „keineswegs als ein geduldetes Übel oder als eine Last zu verstehen“, sondern man müsse sie „als Geschenk Gottes betrachten, das die Begegnung der Eheleute verschönert“. Streckenweise liest sich das Dokument wie ein Eheratgeber für Katholiken.
Franziskus legt sich in dem Schreiben bei den unter den Bischöfen strittigsten Fragen zum Thema Ehe und Familie aber nicht endgültig fest. So schließt er die Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zur Kommunion künftig nicht aus und schreibt in einer Fußnote, in gewissen Fällen sei auch die „Hilfe der Sakramente“ denkbar. Im Detail weist er auf die Möglichkeit der persönlichen Gewissensbildung mithilfe eines Priesters im sogenannten Forum internum hin. Damit nimmt Franziskus einen Vorschlag der deutschen Sprachgruppe auf der Synode 2015 auf, die vom Wiener Erzbischof, Kardinal Christoph Schönborn, moderiert worden war.
Bei der Vorstellung des Dokuments in Rom sagte Schönborn auf die Frage, ob die Öffnung des Papstes bei der Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene eine Veränderung der Lehre sei: „Ich sehe keine Veränderung, sondern eine Entwicklung der Doktrin.“
Franziskus kritisiert auch die Rolle der Kirche beim Umgang mit dem Thema Familie. Eine „übertriebene Idealisierung“ durch die Kirche habe „die Ehe nicht erstrebenswerter und attraktiver gemacht, sondern das völlige Gegenteil bewirkt“. Im Hinblick auf die Rolle der Priester und des Gewissens der Gläubigen schreibt der Papst: „Wir sind berufen, die Gewissen zu bilden, aber nicht dazu, den Anspruch zu erheben, sie zu ersetzen.“ Der Papst forderte „großherzige Antworten“ von den Seelsorgern. Priester sollten moralische Gesetze nicht „wie Felsblöcke“ anwenden, „die man auf das Leben von Menschen wirft“. Franziskus widmet in seinem Schreiben auch denjenigen Priestern und Bischöfen Raum, die auf der strikten Einhaltung der Prinzipien beharrten. Er verstehe diejenigen, die eine „unerbitterliche Pastoral“ vorziehen.
„Doch ich glaube ehrlich, dass Jesus Christus eine Kirche möchte, die achtsam ist gegenüber dem Guten, das der Heilige Geist inmitten der Schwachheit und Hinfälligkeit verbreitet.“
Im Hinblick auf Familien mit homosexuellen Menschen in ihrer Mitte fordert Franziskus, „dass jeder Mensch, unabhängig von seiner sexuellen Orientierung in seiner Würde geachtet und mit Respekt aufgenommen werden soll“. Die Ehe zwischen Mann und Frau und homosexuelle Partnerschaften seien jedoch in keiner Weise gleichzustellen. Franziskus wendet sich auch explizit gegen Abtreibung, Euthanasie oder Todesstrafe und gegen die sogenannte Gender-Theorie.
Im Hinblick auf die christliche Ehe fordert der Papst von Priestern eine bessere Vorbereitung der Paare sowie eine Begleitung während der Ehe. Zum Thema Empfängnisverhütung äußert sich Franziskus nur vage und ohne eigene Akzente zu setzen.
Während Franziskus eindeutige Stellungnahmen zu Einzelsituationen vermeidet, zeigt er gesamtkirchlich hingegen eine klare und neuartige Linie auf. Der Papst schreibt: „Indem ich daran erinnere, dass die Zeit mehr wert ist als der Raum, möchte ich erneut darauf hinweisen, dass nicht alle doktrinellen, moralischen oder pastoralen Diskussionen durch ein lehramtliches Eingreifen entschieden werden müssen.“ Die Einheit von Lehre und Praxis sei notwendig, „verschiedene Interpretationen der Lehre“ könnten aber nebeneinander weiterbestehen. In jedem Land und in jeder Region könnten unterschiedliche „Lösungen gesucht werden, welche die Traditionen und Herausforderungen berücksichtigen“. Es liege nun an den „Gemeinschaften“, Vorschläge zu erarbeiten, die die Lehre der Kirche sowie die Bedürfnisse vor Ort berücksichtigen.
Dem päpstlichen Schreiben gelinge es realistisch, den Alltag in Ehe und Familie wiederzugeben, sagte der Würzburger Bischof Friedhelm Hofmann laut Pressestelle des Ordinariats Würzburg. „Dabei bleibt der Text nicht auf die Darstellung der Probleme beschränkt, sondern bringt immer auch praktische Beispiele, diese Schwierigkeiten anzugehen. Beeindruckend ist in diesem Zusammenhang das völlige Fehlen von Verurteilungen. Im Gegenteil: Immer wieder wird auf die göttliche Barherzigkeit verwiesen, die auch der Kirche eigen sein sollte,“ so Bischof Friedhelm.
„Wir sind Kirche“ sieht einen Epochenwandel
Die Reformbewegung „Wir sind Kirche“ sieht in dem päpstlichen Schreiben „Amoris Laetitia“ eine neue Weichenstellung für die katholische Kirche. „Das ist wirklich ein Epochenwandel“, sagte der Sprecher von „Wir sind Kirche“, Christian Weisner, der Deutschen Presse-Agentur in München. „Die Veränderungen sind tiefgreifender und auf Dauer angesetzt. Es ist ein Mentalitätswechsel.“
Der Papst zeige damit, „dass die Kirche auf die Menschen zugeht und nicht nur Verbotsschilder aufstellt“. „Es ist sehr gut, dass in der Frage des Kommunionsempfangs die Ampel auf Grün oder zumindest auf Gelb geschaltet wurde“, sagte Weisner. Nun seien die deutschen Bischöfe gefragt, „damit es in Deutschland der Situation angepasste Regelungen gibt und die Menschen nicht allein auf ihren Ortspfarrer angewiesen sind und sich ihre Kommunion in der Nachbargemeinde erschleichen müssen“. Homosexuelle Menschen könnten vom Schreiben des Papstes aber mehr erwartet haben, sagte Weisner. „Am ehesten enttäuscht werden die homosexuellen Menschen sein, weil sie nur in indirekter Weise erwähnt werden und homosexuelle Lebensgemeinschaften leider nicht anerkannt sind.“ dpa