Die europäische Sozialdemokratie hat schon bessere Zeiten erlebt. In einigen Mitgliedsstaaten wurden die Parteien bei den jüngsten Wahlen regelrecht pulverisiert. Auch in den Niederlanden. Kommt nun ausgerechnet von dort deren Retter? Sein Name: Frans Timmermans, 57 Jahre alt, Vizepräsident der Europäischen Kommission, Mann für die schweren EU-Dossiers in den Bereichen bessere Rechtssetzung, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechtecharta. Die rechte Hand des Kommissionschefs Jean-Claude Juncker.
Entschlossen ringt er um eine Lösung im Streit mit Polen und Ungarn um Vertragstreue. Beide Länder haben „mit innenpolitischen Reformen den Boden der Rechtsstaatlichkeit verlassen“. Timmermans sagt das so deutlich, schreibt Briefe nach Warschau und Budapest, warnt, mahnt, sucht nach Kompromissen. Und er erträgt eine Abfuhr nach der anderen. Als „eine ganz starke Persönlichkeit“ beschreiben ihn Amtskollegen und politische Freunde ebenso wie seine Gegner.
Seit dem gestrigen Dienstag steht fest: Timmermans will mehr. Er tritt als Spitzenkandidat der europäischen Sozialdemokraten bei den Europawahlen 2019 an. Wer die Mehrheit bei der Europawahl erreicht, darf davon ausgehen, Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker an der Spitze der wichtigsten und mächtigsten EU-Institution zu beerben. Denn um diesen Job geht es eigentlich. Glaubt man den Prognosen, hat Timmermans keine Chance.
Gibt es eine Hintertür?
Denn der Wahlsieg Ende Mai 2019 dürfte, so heißt es, den Christdemokraten kaum streitig zu machen sein. Die entscheiden am heutigen Mittwoch und Donnerstag bei ihrem Parteikongress in Helsinki, ob der CSU-Politiker Manfred Weber, derzeit Chef der größten Fraktion im EU-Parlament, als Spitzenkandidat in den Ring steigen soll – oder doch vielleicht der frühere finnische Präsident Alexander Stubb.
Gäbe es für Timmermans noch eine Hintertür? Ja, denn ein Wahlsieg alleine reicht nicht, wenn es nicht anschließend auch gelingt, eine Mehrheit im Parlament zu sammeln. Und da hat der Niederländer, der in Maastricht geboren ist, gute Perspektiven – vielleicht sogar bessere als die Kandidaten der übrigen Parteien. Schließlich bringt er alles mit, was sich auch die Staats- und Regierungschefs der EU unter einem künftigen Kommissionspräsidenten vorstellen. Der Niederländer, der in Limburg nahe der deutschen Grenze lebt, spricht sieben Sprachen – neben seinen Muttersprachen Niederländisch und Limburgisch beherrscht er Deutsch, Englisch, Französisch, Russisch und Italienisch.
Bewerbung zurückgezogen
Ein ungeheurer Vorteil, wenn man in 27 Ländern um Stimmen werben muss. Er ist verheiratet, hat zwei Töchter und zwei Söhne. Seine Frau arbeitet als Richterin und Vizepräsidentin am Bezirksgericht Limburg. Vor allem aber kann Timmermans Regierungserfahrung vorweisen – zunächst als Staatssekretär im Ministerium für Europaangelegenheiten (2007 bis 2010) und dann als Außenminister (bis 2014) der Niederlande.
Als Mitglied der Kommission räumte er spürbar auf, schob beispielsweise die umstrittene Öko-Design-Richtlinie in die Schubladen. Dieses Gesetzeswerk sorgte wegen des Glühbirnen-Verbots und anderer Regulierungen wie der von Staubsaugern für viel Unverständnis. Timmermans wird in den Reihen der Sozialdemokraten als „Volltreffer“ empfunden. Als sein Amtskollege und Mitbewerber Maros Sefkovic hörte, dass der Niederländer antreten werde, zog er seine Bewerbung zurück, um klarzumachen: Alle stehen hinter Timmermans.