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Brüssel
Frans Timmermans: Der Vize, der Präsident werden will
Frans Timmermans glaubt bei den Europawahlen an einen „Frühling“ für seine Sozialdemokraten.
Detlef Drewes
Detlef Drewes
 |  aktualisiert: 19.10.2020 09:01 Uhr

Sie haben sich versammelt, die Sozialisten und Sozialdemokraten Europas, im März in Wien, im April in Warschau. Dazwischen traf sich der politische Nachwuchs in Berlin und die ganze Partei in Madrid. „Super Frans“ – der Ruf eilt im voraus. Frans Timmermans, 57 Jahre alt, verheiratet, vier Kinder, Fußballfan. „Die Sozialdemokratie kehrt zurück, der Frühling kommt“, sagte er in der österreichischen Hauptstadt.

Hier standen nicht nur Parteitreffen und Interviews auf dem Programm. Er besuchte auch eine kleine Wohnung in einem ganzen Block, den die Stadt für Familien mit geringeren Einkommen hat bauen lassen. Sieben Euro für den Quadratmeter – ein Modell für viele Kommunen. Timmermans war begeistert, unterhielt sich mit Familie Hoog und deren kleinem Sohn. „Ein Kommissionspräsident muss überall sichtbar werden“, sagte er bei dieser Gelegenheit. „Ich will bei den Leuten sein, in den Betrieben, auf den Bauernhöfen, auf der Straße.“

Seit Ende letzten Jahres steht fest, dass Timmermans als Spitzenkandidat der Europäischen Sozialdemokraten in die Europawahlen geht. Siegen möchte er und danach zum Präsidenten der EU-Kommission aufsteigen. Das würde kein großer Umzug. Seit 2014 ist der Niederländer aus Korbach nahe der Grenze zu Aachen bereits Vizepräsident der Behörde, einer von sieben Stellvertretern des Präsidenten Jean-Claude Juncker, sein wichtigster. Das fällt Timmermans nicht selten auf die Füße. Als er im ersten TV-Duell mit seinem christdemokratischen Gegenspieler Manfred Weber (CSU) ein ums andere Mal Forderungen formulierte und ankündigte, was er alles anders machen wolle, wurde er am Morgen danach in den Sozialen Netzwerken gefragt, warum er das denn bisher nicht getan habe.

Timmermans ist sein eigenes Problem. Das andere: Er tritt für die Sozialdemokraten an. Erdrutschartige Verluste haben die Mitglieder seiner Parteienfamilie in den meisten EU-Mitgliedstaaten während der vergangenen Jahre hinnehmen müssen. Selbst in seiner niederländischen Heimat stürzten die Wähler die Genossen von 24,8 Prozent im Jahre 2012 auf 5,7 Prozent 2017. Dabei stieg der frühere Außenminister seines Landes am 21. Juli 2014 innerhalb von sieben Minuten zu einem echten Superstar auf. Nur wenige Tage zuvor war das malaysische Passagierflugzeug mit der Flugnummer MH17 aus Amsterdam kommend mit 298 Menschen (darunter 192 Niederländer) an Bord über der Ostukraine abgeschossen worden.

Timmermans trat wenige Tage später vor den UN-Sicherheitsrat und sagte, zeitweise mit tränenerstickter Stimme: „Wie schrecklich müssen die letzten Momente im Leben der Fluggäste gewesen sein. Die Sekunden, nachdem sie verstanden haben, sie werden sterben. Haben Sie noch einmal die Hand ihrer Liebsten gedrückt, haben sie ihre Kinder an ihr Herz gezogen, haben sie sich in die Augen geschaut, in ihrem Blick ein letztes ‚Auf Wiedersehen‘?“ Für viele war es die beste Rede eines Niederländers seit dem Krieg.

Es ist die eine, sensible Seite des Frans Timmermans. Die andere Seite ist die Angriffslust, mit der er im Streit um Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in einigen östlichen Mitgliedstaaten auftreten kann. Als sich Mateusz Morawiecki, Premierminister Polens, gegen das von Timmermans in Gang gesetzte Verfahren wegen Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit mit den Worten zur Wehr setzte, er wolle ein „Europa der Nationen“, antwortete der Vize der EU-Kommission schneidend: „Was Morawiecki meint, ist: Gebt uns Geld, gebt uns den Binnenmarkt und haltet die Klappe, was Demokratie, Menschenrechte und die Unabhängigkeit der Justiz angeht. So geht das aber nicht.“

Timmermans entstammt einer römisch-katholischen Familie, hat französische Literatur an der Radboud-Universität in Nijmegen (Nimwegen) studiert. Ein Studienjahr verbrachte er im französischen Nancy. Nach seiner Tätigkeit als Gastdozent am Institut Clingendael wechselte er ins Außenministerium nach Den Haag. Von dort wurde er in den 90-er Jahren an die Moskauer Botschaft des Oranje-Staates versetzt. und Zusammenarbeit (OSZE) tätig war. 2014 schickte Premierminister Mark Rutte ihn als Kommissar nach Brüssel.

Timmermans verkörpert vieles, was sich die Staats- und Regierungschefs von einem Kommissionspräsidenten wünschen: Er hat Regierungserfahrung, ist rhetorisch brillant, spricht sieben Sprachen – darunter Deutsch - fließend.

 
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