Sind Frankreichs „Gelbwesten“ noch zu besänftigen? Nachdem es beim dritten Protesttag der Widerstandsbewegung gegen steigende Spritpreise und hohe Lebenshaltungskosten am Samstag in Paris und anderen Städten im Land erneut zu Krawallen gekommen war, kam die Regierung dieser nun weit entgegen. Premierminister Édouard Philippe versprach gestern, die ab Januar geplante Erhöhung der Ökosteuer auf Kraftstoff sowie die schrittweise Anpassung der Diesel- an die Benzinpreise für sechs Monate auszusetzen.
Neue Proteste angekündigt
Noch vor einer Woche hatte Präsident Emmanuel Macron dies bei einer Rede zu seiner Energie-Strategie ausgeschlossen. „Macron behält seinen Kurs bei – wir auch!“, erwiderten daraufhin die „Gelbwesten“ und kündigten für nächsten Samstag einen „vierten Akt“ der Proteste an. Angesichts einer drohenden Zuspitzung der Lage sah sich die Regierung zum Einlenken gezwungen. Philippe zeigte gestern Verständnis für die Protestierenden: „Wir sehen, wie in Frankreich eine tief sitzende Wut hochkocht, die es seit langem gibt. Eine Wut der Franzosen, die das Gefühl haben, mit dem Rücken zur Wand zu stehen, die arbeiten gehen und die nicht absteigen wollen.“ Die Situation müsse unbedingt beruhigt werden angesichts der jüngsten Gewalt-Szenen, bei denen allein am vergangenen Samstag 133 Menschen verletzt und 412 festgenommen, Autos und Gebäude angezündet, Läden geplündert und Symbole wie der Triumphbogen beschmiert wurden.
Macrons Rücktritt verlangt
Was Mitte November als Protest-Bewegung mit landesweiten Straßenblockaden begonnen hatte, wuchs sich seither zu teilweise gewaltsamen Demonstrationen aus, bei denen inzwischen lautstark Macrons Rücktritt verlangt wird. Die radikale Linke und extreme Rechte schlossen sich mit der Forderung nach einer Auflösung der Nationalversammlung und vorgezogenen Neuwahlen an. Auch wenn die Zahl der „Gelbwesten“, die als Erkennungsmerkmal neongelbe Warnwesten überziehen, mit zuletzt 136 000 Demonstranten landesweit nicht hoch liegt, werden diese laut Umfragen von 72 Prozent der Franzosen unterstützt. Philippe kündigte für Mittwoch eine Debatte in der Nationalversammlung mit anschließender Abstimmung an.
Neben der Aussetzung der Steuererhöhungen versprach er, zunächst von einer geplanten Verschärfung der Regeln für TÜV-Kontrollen abzusehen sowie stabile Gas- und Strompreise bis Mai 2019. Experten schätzen die Kosten der Maßnahmen auf zwei Milliarden Euro. Man werde umfangreiche landesweite Debatten darüber organisieren, wie die Regierung die Kosten der Energiewende für die Menschen verträglicher machen und deren Kaufkraft erhöhen könne, sagte Philippe weiter: „Keine Steuer ist es wert, die Einheit der Nation zu gefährden.“ Ein für gestern (Dienstag) geplantes Treffen des Premierministers mit zwei Vertretern der „Gelbwesten“, die sich für einen konstruktiven Dialog mit der Regierung ausgesprochen hatten, war am Vorabend abgesagt worden, nachdem diese Morddrohungen erhalten hatten. Allerdings wurden zwei andere gestern empfangen.
Unterstützung durch Opposition
Es erscheint fragwürdig, ob den teilweise radikalisierten Aktivisten das Aussetzen der Steuererhöhungen reicht, was sie zumindest zu Beginn ihrer Aktionen als Bedingung festgelegt hatten. In ersten Reaktionen nannten einige Vertreter die Maßnahmen „völlig unzureichend“ und forderten eine Generalüberholung der Steuerpolitik sowie Gehaltserhöhungen.
Die Bewegung will sich von keiner Partei oder Gewerkschaft vereinnahmen lassen, trotzdem unterstützt die Opposition sie nach Kräften, um Macron in Bedrängnis zu bringen. So forderte der Chef der republikanischen Senatoren, Bruno Retailleau, statt eines Moratoriums der Erhöhung der Ökosteuer deren komplette Aufgabe – obwohl es sich um eine Maßnahme handelt, die bereits unter dem konservativen Präsidenten Nicolas Sarkozy beschlossen worden war.