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PARIS
Frankreich-Korrespondentin in der Nacht der Anschläge
Birgit Holzer
 |  aktualisiert: 23.11.2015 03:29 Uhr

"Beruhige mich: Du bist nicht am Platz der Republik?!!" Der alarmierte Ton der SMS-Nachricht eines Freundes lässt mich aufschrecken. Ich arbeite in einem Büro ein paar Schritte vom Platz der Republik, aber es ist Freitagabend nach 22 Uhr, ich bin längst nach Hause gefahren in ein ruhiges Stadtviertel im Pariser Süden, hatte das Handy eigentlich beiseitegelegt.

Es ist Wochenende. Ich schalte das Info-Radio an, setze mich an den Computer: Der hektische Ton im Radio macht sofort klar, dass etwas außer der Norm passiert ist. Die Rede ist von mehreren Orten: Dem Fußballstadion Stade de France, wo an diesem Freitag, dem 13. November, das Freundschaftsspiel zwischen Frankreich und Deutschland ausgetragen wird. Dann vom Konzertsaal „Bataclan“, aber auch von mehreren Bars und chaotischen Zuständen im zehnten und elften Stadtbezirk - nicht weit vom Platz der Republik, wo ich zwei Stunden zuvor mit dem Rad vorbeigefahren bin. Nichtsahnend natürlich.

Die Rede ist von Kalaschnikow-Schüssen, einem Blutbad, von Verletzten, dann von Toten. 18 Todesopfer gibt es, heißt es zunächst. Ihre Zahl wird im Laufe der Nacht ebenso ansteigen wie die besorgten Mails und Nachrichten: "Geht es dir gut?" - "Bist du in Sicherheit?" - "Bitte melde dich!" Freunde, Kollegen, ferne Bekannte und sogar Leser, mit denen ich sporadisch im Kontakt war, melden sich.

Ich komme kaum mit dem Antworten hinterher

Ich komme kaum mit dem Antworten hinterher, frage meinerseits bei den mir Nahestehenden nach, den Blick dabei immer auf den Live-Ticker in französischen und deutschen Online-Medien gebannt beim Versuch zu realisieren, was da gerade passiert. Zeugen schildern fürchterliche Szenen, ein Blutbad, ein Riesen-Aufgebot an Sicherheitskräften. Erschütternde Berichte, aber fast unwirklich: Das passiert gerade in meiner Stadt? Es wird empfohlen, das Haus nicht zu verlassen. Bekannte, die in der Nähe der Tatorte wohnen und unterwegs waren, kommen nachts bei Freunden unter. Ich verharre wie festgeklebt vor dem Fernseher, klicke mich parallel durch die Nachrichtenseiten. Fassungslos.

Wer sind die Täter, die so willkürlich um sich schossen, sich in die Luft sprengten? Riefen sie, wie teilweise berichtet wird, „Allahu Akbar“ - „Allah ist groß“, so wie es auch die islamistischen Attentäter taten, die im Januar das Feuer auf die Redaktion von "Charlie Hebdo" eröffneten? Warum diese blinde Grausamkeit, Zerstörungswut? Warum schon wieder Paris? Wer soll sich hier noch sicher fühlen?

Die Anschläge auf das Satiremagazin und einen jüdischen Supermarkt zu Jahresbeginn hatten Frankreich zutiefst erschüttert. Das sei, so sagten viele, der "französische 11. September". Seitdem herrscht in Paris ständig höchste Sicherheitsstufe, mehrere weitere geplante Attentate sollen vereitelt worden sein. Man wusste Frankreich weiterhin im Visier, aber das Ausmaß dieses Horrors vermochte sich wohl keiner vorzustellen. Und wer weiß, wie und ob es weitergeht? Paris, diese so lebendige und lebensfrohe, wunderschöne, so vielfältige und bunte Stadt, sie ist in Trauer und trägt schwarz. Am Morgen ist die Bilanz bitter und die Angst groß, dass sie sich noch verschlimmert.

Ständig klingelt das Telefon

Weiterhin klingelt ständig das Telefon, kommen Nachrichten in mein Postfach, besorgte Nachfragen, aufmunternde Wünsche. Dieses Attentat hat den Horror der "Charlie"-Anschläge übertroffen, aber etwas ist ähnlich: Die Welle der Anteilnahme, das Mitfühlen, die Erschütterung - nicht nur in Paris und nicht nur in Frankreich, sondern weit darüber hinaus. Alle sind getroffen und keiner bleibt gleichgültig. Und das vermittelt trotz des Horrors - oder gerade deshalb? - ein Gefühl der Wärme: Die Welt scheint zusammengerückt.

 
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