Emmanuel Macrons Anhänger in der Halle auf dem größten Messegelände von Paris warteten nicht ab, bis es 20 Uhr war. Schon vor der offiziellen Verkündigung des Wahlergebnisses hatte die für sie so frohe Kunde die Runde gemacht: Ihrem Kandidat war der Sprung in die zweite Runde der Präsidentschaftswahl gelungen – er könnte damit unmittelbar vor dem Sieg stehen. Der Enthusiasmus brach sich Bahn, die Frankreich- und Europa-Flaggen schwenkten in der Luft. Dass diesem Politik-Neuling, der gerade einmal vor einem Jahr, damals noch als Wirtschaftsminister, seine eigene Partei „En Marche!“ („In Bewegung!“) gegründet hatte, ein solcher Aufstieg vorbei an den etablierten Parteien gelingt, erschüttert Frankreichs politische Landschaft.
Auch wenn nicht alle Wähler mit dem Herzen für ihn gestimmt hatten – bei vielen setzte sich in den vergangenen Tagen die Überzeugung eines „nützlichen Votums“ durch, da er als einziger linksgerichteter Politiker aussichtsreich schien, um eine Konfrontation von Marine Le Pen und François Fillon zu verhindern.
Der 39-Jährige will für einen Neuanfang stehen, das linke und das rechte Lager im Zentrum zusammenführen. Schwerpunkte setzte er im Wahlkampf sowohl auf das Versprechen, die Wirtschaft zu stützen und von Blockaden zu befreien, wie auch auf die Schul- und Bildungspolitik gerade in sozialen Brennpunkten, um mehr Chancengleichheit zu erreichen.
Macron profitierte aber auch von der Schwäche der sozialistischen Partei, die in Vorwahlen mit Benoît Hamon einen linken Außenseiter gewählt hatte. Mit nur rund sechs Prozent fuhr er ein äußerst enttäuschendes Ergebnis ein. Am Sonntagabend äußerte sich Hamon als erster mit einer klaren Ansage: „Ich rufe zur Wahl von Emmanuel Macron auf, um den Front National zu schlagen.“ Er übernehme die volle Verantwortung für das Ergenis.
Viele wichtige Prozentpunkte verlor Hamon an den Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon. Der 65-Jährige riss mit seinen Forderungen nach einer radikalen Umverteilung von Wohlstand und einem Abschied Frankreichs aus der EU und der Nato zwar viele Franzosen mit. Dass er auch regieren kann, trauten sie dem wortgewaltigen Volkstribun aber dann doch nicht zu.
Doch während der dritte oder vierte Platz – das stand zunächst noch nicht genau fest – für Mélenchon ein Erfolg ist, herrschte im Städtchen Hénin-Beaumont am Sonntagabend ein höchstens gedrücktes Triumph-Gefühl. Es war eine symbolische Entscheidung Le Pens, in dieser nordfranzösischen Hochburg den Wahlabend zu verbringen und nicht in Paris, der strahlenden Hauptstadt der Eliten, wo sie traditionell schwächer abschneidet als auf dem Land.
Zwar ließen es sich ihre Anhänger nicht nehmen, „Marine, Präsidentin!“ zu skandieren – doch erscheint unwahrscheinlich, dass diese Überzeugung realisiert wird. Le Pen war lange in Umfragen der erste Platz vorausgesagt worden – der Platz hinter Macron ist eine Enttäuschung. Gleichzeitig übertrifft sie ihr eigenes Ergebnis der Wahl 2012 deutlich, als sie an dritter Position landete. Auch überflügelt Le Pen ihren Vater Jean-Marie Le Pen, der 2002 überraschend mit knapp 18 Prozent der Stimmen die zweite Runde der Präsidentschaftswahl erreichte. Er profitierte damals von der Zerstrittenheit und dem Vertrauensverlust der großen Volksparteien – wie nun seine Tochter.
Denn nicht nur die Sozialisten erfuhren eine bittere Klatsche, sondern auch die Republikaner. Bei François Fillon wollte man zwar bis zuletzt mit aller Macht daran glauben, dass ein Sieg noch möglich war: Bei der Kandidatenkür seiner Partei war er von Meinungsforschungsinstituten schließlich ebenfalls stets als drittplatzierter Bewerber hinter Ex-Präsident Nicolas Sarkozy und Ex-Premierminister Alain Juppé gesehen worden, um dann beide eindeutig hinter sich zu lassen.
Das Kongress-Zentrum im schicken 16. Arrondissement von Paris hatte der republikanische Kandidat angemietet für einen großen Feier-Abend mit Anhängern – die dann ausfiel. Lang waren dort die Gesichter: Es reichte nur für den dritten oder gar vierten Platz für den früheren Regierungschef.
Offensichtlich schadeten die Vorwürfe wegen Scheinbeschäftigung seiner Frau und Kinder Fillons Image doch zu nachhaltig. Zahlreiche Parteifreunde, auch solche aus dem engsten Führungszirkel, hatten sich von ihm abgewendet. Noch am Sonntagabend sprachen sich die ersten Republikaner wie der einflussreiche Ex-Premierminister Jean-Pierre Raffarin für das Verhindern des Front National aus – und damit für die Unterstützung Macrons.
Ein neuer Wahlkampf begann noch am Sonntagabend, der mit der Stichwahl am 7. Mai endet.