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PARIS
Frankreich hat die Qual der Wahl
Von unserer Korrespondentin BIRGIT HOLZER
 |  aktualisiert: 22.04.2012 21:18 Uhr

Die Zuversicht war ihm ins Gesicht geschrieben. Und doch legte François Hollande auch nach der ersten großen Etappe eines langen Wahlkampf-Marathons die ihm eigene Vorsicht nicht ab. Er sei gespannt, aber vor allem habe er Respekt, erklärte der Favorit der französischen Präsidentschaftswahlen im Städtchen Tulle, wo er lange Bürgermeister war und seinen Wahlschein in die Urne gleiten ließ. „Es sind die Franzosen, die entscheiden.“ François sei ziemlich gelassen, verriet seine Partnerin, die Journalistin Valérie Trierweiler. „Aber ich bin hyper-gestresst.“ Dabei schien das nicht nötig: Erste Auszählungsergebnisse aus den französischen Überseee-Departements schienen die Umfragen zu bestätigen, die den Sozialisten seit Monaten vor dem Amtsinhaber Nicolas Sarkozy sahen und beide als Finalisten in der Stichwahl am 6. Mai.

Doch seit dem 21. April 2002 haben die Meinungsforscher ein Glaubwürdigkeitsproblem. Bei der Wahl vor zehn Jahren sahen sie nicht voraus, dass statt des Sozialisten Lionel Jospin der Rechtspopulist Jean-Marie Le Pen in die Stichwahl gegen Jacques Chirac einziehen würde. Auch als Folge einer hohen Stimmenthaltung von 28,4 Prozent.

„Neun gegen einen“

Am Sonntag lag die Beteiligung der 45 Millionen Wahlberechtigten ersten Erhebungen zufolge höher als 2002, aber niedriger als vor fünf Jahren, als Sarkozy gegen Hollandes frühere Lebensgefährtin Ségolene Royal antrat. Von der damaligen Aufbruchsstimmung war in diesem Wahlkampf wenig zu spüren. Sarkozy hat nicht nur an Schwung eingebüßt, sondern auch an Beliebtheit. Es habe sich um eine Kampagne „neun gegen einen“ gehandelt, klagte er – die anderen neun Kandidaten hätten die Wahl zu einem Referendum gegen ihn gemacht.

Dennoch gab er sich bei der Stimmabgabe mit seiner Frau Carla Bruni im schicken 16. Stadtbezirk von Paris optimistisch. Sein Parteichef Jean-François Copé versicherte, er habe eine „unerhörte Begeisterung“ bei Wahlkampfauftritten gespürt. So wie Hollande zur „nützlichen Wahl“ schon beim ersten Gang aufgerufen hatte, so setzte auch der Präsident auf ein möglichst gutes Resultat, um vor dem entscheidenden Stechen die Dynamik zu entfachen, für die er die ganzen Wochen bislang vergebens gekämpft hatte.

Einen Strich durch die Rechnung gemacht hat ihm Marine Le Pen, die Kandidatin des Front National, die nach einer erfolgreichen Kandidatur etabliert in der Parteienlandschaft scheint und gestärkt in die Parlamentswahlen im Juni geht. „Ihr werdet mich noch 40 Jahre am Hals haben“, kündigte sie bereits an.

Während sich die Grünen mit ihrer überforderten Kandidatin Eva Joly selbst in die politische Bedeutungslosigkeit katapultiert hatten, mauserte sich der Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon zur Überraschung dieses Wahlkampfes durch sehr gute Umfragewerte. Bei seinen Auftritten von einigen Anhängern durchaus als „Utopist“ erkannt, weckte er Begeisterung mit seinen Visionen nach einer radikalen Umverteilung und einem noch stärkeren Sozialstaat.

„Kampagne der Wahrheit“

Trotz der ökonomisch schwierigen Lage des hoch verschuldeten Frankreich, dem die US-Ratingagentur Standard & Poor's vor einigen Monaten die Bestnote für Kreditwürdigkeit entzogen hat, kam hingegen die „Kampagne der Wahrheit“, also eines Sparprogramms, die der Zentrumspolitiker François Bayrou führte, kaum an. Dennoch erwarten Beobachter nun eine Trendwende: Traditionell bemühen sich vor dem zweiten Wahlgang die beiden Kandidaten um eine Öffnung zur Mitte hin, nachdem vorher polarisiert wird, um die Kandidaten der extremen Ränder kleinzuhalten. Im Lager des Präsidenten fielen bereits Angebote an Bayrou für das Amt des Regierungschefs, der sich noch nicht geäußert hat, ob er eine Empfehlung abgeben wird. Allerdings müssen vor einer Postenverteilung ohnehin die Parlamentswahlen im Juni abgewartet werden.

Eine Annäherung an Bayrou, der als einziger Kandidat radikaleres Haushalten forderte, würde die Kandidaten zu Lösungsvorschlägen für die Probleme zwingen, die die Franzosen am meisten beunruhigen: die hohe Arbeitslosigkeit, die gesunkene Kaufkraft, die Desindustrialisierung. Bislang wogen diese Themen gering – stattdessen fixierte sich die Öffentlichkeit auf den persönlichen Stil des Amtsinhabers und seiner Alternativen: Der energisch-sprunghafte Sarkozy wurde dem lavierend-freundlichen Hollande entgegengesetzt.

Die entscheidende Frage lautet allerdings, wer dieses Frankreich im Wirtschafts- und Stimmungstief wieder aufrichten kann. Bei der Konfrontation beim Fernsehduell zwischen beiden Wahlgängen werden daher Spitzeneinschaltquoten erwartet. Denn die entscheidende Phase des Wahlkampfes beginnt erst.

Wie Frankreich wählt

Der französische Staatspräsident („Président de la République“) wird im Gegensatz zum deutschen Bundeskanzler direkt vom Volk bestimmt. Dabei muss ein Kandidat die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen erreichen – also mehr als 50 Prozent. Wenn kein Kandidat dies im ersten Wahlgang schafft, kommt es in einem zweiten Wahlgang zur Stichwahl zwischen den beiden Kandidaten mit den meisten Stimmen. Dies war bislang bei allen Präsidentenwahlen der Fall. Seit einem Volksentscheid im Jahre 2000 ist die Mandatszeit des Staatspräsidenten von sieben auf fünf Jahre verkürzt. Hintereinander dürfen höchstens zwei Amtszeiten absolviert werden. Bei zehn Kandidaten war auch vor der Wahl 2012 absehbar, dass eine Stichwahl entscheiden muss. Sie ist für den 6. Mai angesetzt. Wie zwei Wochen zuvor sind rund 44,5 Millionen Franzosen wahlberechtigt. Die fünfjährige Amtszeit von Nicolas Sarkozy endet am 15. Mai um Mitternacht. Sollte ein neuer Präsident gewählt werden, wird der Termin seiner Amtseinführung zwischen altem und neuem Präsidenten ausgemacht. Der Präsident bestimmt allein die Leitlinien der Politik. Er ernennt den Premierminister, leitet die Kabinettssitzungen und ist zudem Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Dabei ist der französische Präsident deutlich weniger abhängig von Parlament und Partei als beispielsweise die deutsche Bundeskanzlerin. Text: dpa

 
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