„Keine Panik“, sagt Jean-Marc Puissesseau, Geschäftsführer der Betreibergesellschaft des Hafens Calais-Boulogne: „Wir werden am 29. März bereit sein. Es wird weder zum Chaos kommen noch Stau geben.“ Wie sich der bevorstehende Brexit auch gestalte, ob mit einer Einigung in letzter Minute, ganz ohne Deal oder mit einem Aufschub – der Handel und Transport zwischen Calais und dem britischen Dover bleibe gewährleistet, verpricht Puissesseau regelmäßig gegenüber Medien: „Am Eingang des Hafens wird überprüft, ob alle Zolldokumente vorab ausgefüllt sind. So gibt es keinen Grund für Verzögerungen.“
Bis zu 9000 Lastwagen passieren täglich den Hafen von Calais und machen aus ihm – neben jenem von Dunkerque – ein wichtiges Nadelöhr für den Waren- und Personenverkehr auf die Insel.
Fast 46 Millionen Tonnen Güter und mehr als neun Millionen Reisende waren es 2018. Um auch künftig einen reibungslosen Ablauf sicherzustellen, werden sechs Millionen Euro in den Hafen investiert, vor allem in die Verstärkung der Zollabfertigung und in einen neuen Bereich für Veterinärskontrollen.
Trotz dieser Vorbereitungen überrascht Puissesseaus gelassener Optimismus gegenüber einem möglichen ungeordneten Austritt Großbritanniens aus der EU. Betroffene Transportunternehmer reagieren weitaus nervöser.
David Sagnard, Chef der Firma „Transports Carpentier“, dessen Lastwagen im Jahr rund 5000 Mal den Ärmelkanal überqueren, hält es für „kaum vorstellbar“, dass bei einem No-Deal-Brexit Verzögerungen ausbleiben – welche ihn teuer zu stehen kämen: „Die Kosten für eine Minute Wartezeit eines meiner Fahrzeuge beläuft sich auf einen Euro.“ Sagnard weist außerdem darauf hin, dass Flüchtlinge Staus nutzen könnten, um heimlich in Lastwagen zu klettern und nach Großbritannien zu gelangen. Die Vorkehrungen in Calais gehören dabei zum Notfall-Plan, den die französische Regierung im Januar vorgestellt hat. Weil eine Scheidung ohne Einigung „immer weniger unwahrscheinlich“ erscheine, investiere Frankreich insgesamt 50 Millionen Euro für Grenzkontrollvorrichtungen in Häfen und Flughäfen, kündigte Premierminister Édouard Philippe an. Fast 600 Veterinäre, Zollbeamte und andere Staatsbedienstete würden rekrutiert.
Auch erließ die Regierung mehrere Verordnungen, die unter anderem vorsehen, dass in Frankreich lebende Briten „unter Vorbehalt der Gegenseitigkeit“ zwölf Monate ohne Aufenthaltsgenehmigung bleiben dürfen und dass britische Transportunternehmen weiterhin in Frankreich fahren können.
Vor allem für mittelständische Betriebe wurde Infomaterial herausgegeben und eine Hotline eingerichtet, damit diese Vorkehrungen treffen. Insgesamt exportieren fast 30 000 französische Unternehmen ins Vereinigte Königreich, 3300 unterhalten dort eine eigene Filiale.
Etliche Branchen sind betroffen: So ist Frankreich zweitgrößter Importeur der Briten von landwirtschaftlichen Produkten und Lebensmitteln, es liefert 20 Prozent der eingeführten Milchprodukte – davon mehr als die Hälfte Käse – und Großbritannien ist nach den USA zweitgrößter Abnehmer von Wein und Spirituosen.
Einer Studie des Kreditversicherungsunternehmens Euler Hermes zufolge kämen im Fall eines No Deals Verluste in Höhe von drei Milliarden Euro auf die französischen Unternehmen zu. Arbeitgeberpräsident Geoffroy Roux de Bézieux hat angekündigt, nachdem Frankreich mehr als 30 Jahre lang freien Handel mit Großbritannien betrieben habe, werde es wohl so oder so „mehrere Wochen lang ein Chaos geben“. Vom Optimismus des Hafenbetreiber-Chefs Jean-Marc Puissesseau ist er weit entfernt