zurück
Flüchtlinge schneller nach Bayern?
Susanne Schmitt
 |  aktualisiert: 22.01.2014 19:50 Uhr

Millionen Syrer sind auf der Flucht. Die Vereinten Nationen haben aufgehört, die Toten zu zählen. Hilfsorganisationen sehen die Friedenskonferenz als letzte Hoffnung. Aber: „Dass tatsächlich morgen der Konflikt beendet ist, daran glauben nicht einmal die kühnsten Optimisten“, sagt Tobias Klaus, Sprecher des Bayerischen Flüchtlingsrates. Die Situation der Flüchtlinge werde sich weiter verschärfen. Deutschland will deshalb 10 000 Menschen aufnehmen. Allein, weniger als 3000 sind bisher angekommen. Ein Gespräch über überlastete Botschaften, hausgemachte Unterbringungsprobleme und Schicksale hinter abstrakten Zahlen.

Frage: Was passiert, wenn die Friedenskonferenz zu Syrien scheitert?

Tobias Klaus: Wenn die Konferenz scheitert, geht der Bürgerkrieg weiter und es ist zu erwarten, dass auch die Zahlen der Flüchtlinge weiter steigen. Allerdings wird der kleinste Teil nach Deutschland kommen, vor allem wird der Druck auf die Nachbarländer wie Libanon und Türkei wachsen. Die Versorgungssituation dort wird immer katastrophaler und die Angst der Flüchtlinge in Bayern um ihre Angehörigen bleibt.

Nach Bayern sollen über die Bundesaufnahmeanordnungen etwa 1520 Syrer kommen. Bisher erreichte nur ein Bruchteil den Freistaat – warum läuft der Prozess so schleppend?

Klaus: Auf nationaler Ebene gibt es das Problem, dass die Bundesprogramme nicht zügig umgesetzt wurden. Die Abstimmung mit dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, das die Flüchtlinge vorschlägt, dauerte sehr lange und es meldeten sich weit mehr Personen als Aufnahmekapazitäten bestehen. Ein Grund, warum es in Bayern so schleppend vorangeht, ist, dass sich der Freistaat besonders viel Zeit gelassen hat und nur über das Bundesprogramm Flüchtlinge aufnimmt. Andere Bundesländer gehen weiter und nehmen darüber hinaus Menschen auf. Dadurch konnten früher schon Familienangehörige geschützt werden.

Birgt die Idee, eben beispielsweise Familienangehörigen eine schnelle Einreise zu ermöglichen, Risiken?

Klaus: Bei jedem Visumantrag findet vorab eine Sicherheitsprüfung statt. So soll vermieden werden, dass Sicherheitsgefährder einreisen und natürlich muss diese Prüfung verantwortungsvoll erfolgen.

Inwiefern ist es Syrern momentan überhaupt möglich, ihr Land zu verlassen?

Klaus: Das ist natürlich das erste Problem. Man muss es in eines der Nachbarländer schaffen und dort auch noch einen Termin bei der deutschen Botschaft bekommen. Das ist unglaublich schwierig, weil die Botschaften komplett mit Visumanträgen von syrischen Staatsbürgern überlastet sind. Hier muss das Personal aufgestockt und eine zügige Bearbeitung sichergestellt werden, weil es tatsächlich um Leben und Tod geht.

Gibt es in Bayern angemessene Kapazitäten, um die Menschen aus Syrien unterzubringen?

Klaus: Wir haben natürlich schon jetzt ein Unterbringungsproblem. Das ist aber zum Teil hausgemacht, weil Bayern durch eine sehr restriktive Verpflichtung in Flüchtlingslagern zu leben dafür sorgt, dass zwar auf der einen Seite Flüchtlinge in die Lager hineinkommen, auf der anderen Seite aber nicht mehr heraus. Man muss eine liberale Regelung finden, die einen zügigen Auszug aus den Unterkünften gewährleistet und Flüchtlingen schneller ein menschenwürdiges Wohnen ermöglicht.

Ist die Forderung der Evangelischen Kirche in Rheinland-Pfalz, bis zu 100 000 Flüchtlinge aufzunehmen, übertrieben?

Klaus: Wenn man die Gesamtzahl von über zwei Millionen syrischen Flüchtlingen betrachtet, dann finde ich eine Zahl von 100 000 Flüchtlingen, die durch ein reiches Land wie Deutschland aufgenommen werden, absolut nicht übertrieben. Die Kontingentprogramme der Bundesregierung werden nicht ausreichen.

Wäre es Aufgabe der Kirchen, mehr Verantwortung zu übernehmen?

Klaus: Ein gutes Beispiel dazu ist das Verhalten während des Bosnien-Krieges. Damals wurden sehr liberale Möglichkeiten zur Einreise nach Deutschland geschaffen und gleichzeitig ist eine unglaublich breite Solidaritätsbewegung entstanden, die es sowohl Kirchen als auch Privatpersonen und Angehörigen ermöglichte, Personen bei sich aufzunehmen. Aber dafür müssen erst einmal auf Bundes- und Landesebene die Voraussetzungen geschaffen werden und ich denke, dann würde auch die entsprechende Aufnahmebereitschaft entstehen.

Brauchen wir eine Art Willkommenskultur?

Klaus: Wir brauchen insgesamt in Deutschland eine Kultur, die Flüchtlingen sagt, du sollst von Anfang an Teil der Gesellschaft sein, die Sprache lernen, arbeiten und deinen Bildungsweg fortsetzen. Dann wären viele Probleme, die wir jetzt mit der Stigmatisierung und der psychischen Belastung von Flüchtlingen haben, gelöst.

Hilfsorganisationen beklagen, beim Syrienkonflikt gerieten die Menschen in der öffentlichen Wahrnehmung immer wieder in den Hintergrund. Warum?

Klaus: Ein Problem ist, dass nur über abstrakte Zahlen geredet wird. Sollen es 5000, 10 000 oder 100 000 Flüchtlinge sein? Die konkreten Schicksale rücken in den Hintergrund. Wir brauchen eine Lösung für die Menschen, die tatsächlich in Gefahr sind. Das durch ein Zahlenkontingent zu deckeln, wird dem Einzelfall nicht gerecht.

Sollte die Friedenskonferenz doch eine politische Lösung finden – wann kommt die im Alltag der Menschen an?

Klaus: Wenn die Syrien-Konferenz erfolgreich und ein Friedensprozess auf den Weg gebracht werden sollte, dann wird es immer noch Jahre dauern, bis das Land in der Lage ist, alle Rückkehrer aufzunehmen. Dass tatsächlich ab morgen der Konflikt beendet ist, daran glauben nicht einmal die kühnsten Optimisten. Das sieht man auch in Bürgerkriegsländern wie Irak oder Afghanistan, die immer noch zerstört sind und in denen Konflikte immer wieder aufbrechen. Auch bei Syrien wird es zehn oder fünfzehn Jahre dauern. Deswegen muss für die Flüchtlinge in Deutschland eine langfristige Perspektive geschaffen werden, mit der sie die Möglichkeit haben, in der Gesellschaft anzukommen.

Tobias Klaus

Der Sprecher des Bayerischen Flüchtlingsrates in München, Tobias Klaus (31), wurde in Bielefeld geboren. Seine Schwerpunkte sind die Themen Aufenthaltsrecht und Integration in den Bildungs- und Arbeitsmarkt. Für 10 000 syrische Flüchtlinge hat die Bundesregierung eine Aufnahmezusage erteilt. Davon werden laut Bayerischem Staatsministerium für Arbeit, Soziales und Integration etwa 1520 nach Bayern kommen. Bislang sind 221 Menschen angekommen. Im fränkischen Wunsiedel sind momentan 26 syrische Flüchtlinge in einer staatlichen Unterkunft untergebracht. sp/FOTO: Bayr.FR

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Susanne Schmitt
Evangelische Kirche
Flüchtlinge
Flüchtlingsräte
Friedenskonferenzen
Nationen
Schicksal
Tote
UNO
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen