Die junge Mutter wundert sich. Dass viele Eltern jetzt zum Schulschluss die Beratungsstellen aufsuchen, um sich zu informieren, wie der Sprössling trotz schlechter Noten die weitere Schullaufbahn bewältigen kann, will sie nicht recht verstehen. Sie weiß schließlich auch genau, in welchen Fächern ihr Vincent gut dasteht – und kennt auch seine Schwächen. „Die Noten sind doch längst gemacht.“
„Ja, man möchte meinen, dass Schüler und Eltern Bescheid wissen“, stimmt Gerhard Estenfelder zu. Die Erfahrung des stellvertretenden Leiters der Staatlichen Schulberatungsstelle für Unterfranken ist aber auch eine andere. Mehr als in den Vorjahren nutzten Mütter und Väter die zusätzlichen Sprechstunden in den letzten Tagen vor den Sommerferien. Und auch für den Rest dieser Woche rechnen die vier Beratungslehrer und vier Schulpsychologen mit einem starken Andrang verunsicherter Eltern in der Beratungsstelle am Würzburger Ludwigkai.
„Die Hoffnung stirbt offenbar zuletzt.“ Estenfelder vermutet, dass einige Mütter und Väter erst dann wahrhaben, wie es um ihre Kinder steht, „wenn sie es im ,blauen Brief' oder im Zeugnis schwarz auf weiß lesen“. Dann aber ist es verdammt knapp. Themen der Beratung sind zum einen die Möglichkeit einer Nachprüfung oder das Vorrücken auf Probe, das unter bestimmten Voraussetzungen (Krankheitsfall, bestimmte Noten-Konstellation) das Wiederholen einer Klasse verhindern kann – oder ein Schulwechsel.
Gerade aber der gestaltet sich häufig schwierig. Während das bayerische Schulsystem viele Wege kennt, auf einen Abschluss den nächsthöheren bis hin zum Abitur draufzusatteln (Vorkurse und Vorklassen an Fach- und Berufsoberschulen, Einführungsklassen am Gymnasium), ist der Weg zurück oft steinig. Das liegt unter anderem am unterschiedlichen Fächerkanon. „Von praktischer Berufsorientierung, wie sie an Mittelschulen unterrichtet wird, hat ein Gymnasiast noch nie etwas gehört“, so Estenfelder.
Und so kommt es vor, dass ein Jugendlicher, der die neunte Klasse am Gymnasium oder der Realschule zweimal nicht geschafft hat, aber nicht ohne Abschluss bleiben möchte, Schwierigkeiten haben kann, eine Mittelschule zu finden, die ihn aufnimmt und auf den Quali oder den Mittleren Abschluss vorbereitet. Hinzukommt die Bürokratie: Nach neun Jahren besteht keine Schulpflicht mehr; da müssen der Jugendliche und seine Eltern einen Antrag auf „freiwillige Schulzeitverlängerung“ stellen. Hier zu unterstützen, auch geeignete Schulen zu vermitteln, ist in diesen Tagen eine der Hauptaufgaben für das Berater-Team.
Vieles wäre einfacher, wenn Eltern schon frühzeitig im Schuljahr, wenn sich Probleme abzeichnen, „sensibel reagieren“ und die Hilfe der Beratungslehrer an den Schulen in Anspruch nehmen, sagt Estenfelder. Manchmal helfe dann „ein Schritt zurück“, beispielsweise das freiwillige Zurückgehen eine Klasse tiefer, um zu verhindern, dass Wissenslücken, etwa in den Fremdsprachen, so groß werden, dass sie nicht mehr aufgeholt werden können. Estenfelder: „Oft stellen sich dann auch wieder Erfolgserlebnisse ein.“
Lernpläne zu erarbeiten, ist auch eine Aufgabe, die die Beratungslehrer gerne übernehmen. Dabei könne es durchaus sinnvoll sein, die Sommerferien zu nutzen, entgangenen Schulstoff nachzulernen, sagt Estenfelder. „Grundsätzlich sind die Ferien zur Erholung da.“ Allerdings spreche nichts dagegen, nach zwei, drei Wochen Nichtstun mit seinem Sprössling für den Rest der Ferien mehrmals wöchentlich eine Stunde Vokabellernen oder Mathe-Übung zu vereinbaren. Erst recht, wenn Nachprüfungen anstehen.
Je jünger die Schüler, sind desto wichtiger sei es, dass die Eltern die Aktivitäten auch überwachen. Dabei sollten sie aber nicht außer Acht lassen, „dass Schule und Noten nicht alles sind“. Eine Binsenwahrheit, auf die Gerhard Estenfelder Mütter und Väter in diesen Tagen häufiger hinweisen muss. Auch solche, deren Kinder gut in der Schule sind.
Die Staatliche Schulberatungsstelle für Unterfranken, Ludwigkai 4, Würzburg, hat am heutigen Dienstag, 31. Juli, von 8 bis 16 Uhr geöffnet. Von Mittwoch, 1. August, bis Freitag, 10. August, sowie von Montag, 3. September, bis Mittwoch, 12. September, sind die Berater jeweils von 10 bis 12 Uhr telefonisch erreichbar. Kontakt: Tel. (09 31) 7 94 54 10.