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BRÜSSEL
Europas Rechte wollen ein „Modell Schweiz“
Ausgestreckter Mittelfinger in Richtung EU: Populisten loben die Volksabstimmung „gegen Masseneinwanderung“ in der Schweiz.
Foto: Fotolia | Ausgestreckter Mittelfinger in Richtung EU: Populisten loben die Volksabstimmung „gegen Masseneinwanderung“ in der Schweiz.
Evangelischer Pressedienst
 |  aktualisiert: 12.02.2014 19:52 Uhr

Gestern die Schweiz, morgen ganz Europa? Nach dem Abstimmungsergebnis der Eidgenossen, die sich am Sonntag bei einer Volksbefragung gegen „Masseneinwanderung“ ausgesprochen hatten, jubelt die Rechte in allen Mitgliedsstaaten. „Fantastisch“, twitterte beispielsweise der niederländische Populist Geert Wilders. „Was die Schweizer können, das können wir auch.“ In Frankreich diktierte die Chefin des Front National, Marine Le Pen, in die Mikrofone: „Ich wünschte, wir würden den Schweizern folgen.“ Der Front National könnte bei den bevorstehenden Europawahlen zu stärksten Kraft bei unseren Nachbarn aufsteigen.

„Natürlich werden die Populisten das Ergebnis überall aufgreifen“, prognostiziert der Chef des Auswärtigen Ausschusses im Europäischen Parlament, Elmar Brok. Andere sehen das genauso. Die Stimmung, die die Schweizer möglicherweise ihre lange gewachsenen Beziehungen zur EU kosten könnte, ist verbreitet. Bei einer Umfrage von Infratest Dimap sagte knapp die Hälfte der befragten Bundesbürger, die Nachteile der Zuwanderung würden die Vorteile überwiegen. Nach Angaben der nationalen Statistikämter liegt die Angst vor Überfremdung in der Schweiz bei 23,3 Prozent, in Österreich bei knapp zwölf Prozent. Deutschland verzeichnet 8,2, Großbritannien 7,2 und Frankreich 5,9 Prozent.

In nahezu allen EU-Mitgliedsstaaten spüren rechte und EU-kritische Gruppierungen und Parteien Aufwind. „Die Menschen wollen keine Multikulti-Gesellschaft, bei der sie zu Fremden im eigenen Land werden“, sagt beispielsweise der Chef der österreichischen FPÖ, Heinz-Christian Strache. Kaum anders klang der Brite Nigel Farage, Chef der EU-kritischen UKIP-Partei, die im Mai möglicherweise sogar David Camerons Konservative überflügeln könnte: „Das sind wunderbare Neuigkeiten für die nationale Souveränität und für die Liebhaber der Freiheit in ganz Europa.“ Beobachter schätzen den Anteil der Mandate solcher Parteien und Gruppierungen, zu denen auch die deutsche AfD gezählt wird, auf rund 25 Prozent der insgesamt 751 Sitze in der künftigen Straßburger Abgeordnetenkammer.

„Es ist schwer vorstellbar, dass diese rechtspopulistischen Parteien ihre Kräfte im Parlament bündeln können“, sagt Politikwissenschaftler Florian Hartleb von der Konrad-Adenauer-Stiftung. „Dafür sind sie zu zersplittert und zu unterschiedlich, auch in ihrer Radikalität.“ Das ist tatsächlich so: Weder die britischen EU-Gegner noch die AfD oder der Front National würden sich mit den Vertretern der griechischen „Goldenen Morgenröte“ in eine Fraktion setzen. Der hellenischen Gruppierung werden zwei Morde zur Last gelegt. Andererseits haben sich mit Wilders und Le Pen zwei besonders exponierte Figuren der rechten Szene zu einem Bündnis zusammengefunden, um „Kräfte zu bündeln“, wie sie bei einem Treffen in Den Haag im November ankündigten.

Den EU-Vertretern in Brüssel schwant, dass sie möglicherweise vor einem Wahlkampf stehen, in dem die Zuwanderungspolitik zu einem zentralen Thema werden könnte. „Die einen werden uns fragen, wie wir den Zustrom stoppen können“, sagt ein ranghohes Mitglied des Europäischen Parlamentes, „die anderen wollen wissen, warum wir nicht mehr ins Land lassen, um Tragödien im Mittelmeer zu verhindern. Da brauchen wir gute Antworten.“

Der Mann hat recht. Zumal die Kritiker der Union erst nach der Abstimmung bei den Eidgenossen gemerkt haben, dass die Schweiz eigentlich ein ideales Modell für ihr Verständnis von Unabhängigkeit und Rückgewinnung der nationalen Hoheit sein könnte. Geert Wilders macht inzwischen keinen Hehl mehr daraus, dass er sich genau so die Zukunft der Niederlande vorstellt: keine Mitgliedsbeiträge, keine Milliardenzahlungen für rückständige Mitgliedsstaaten, keine Sozialleistungen für EU-Bürger. Ähnliche Töne kommen aus Frankreich und Dänemark.

Ob die Stimmung bis zum Mai, wenn fast 400 Millionen EU-Bürger an die Wahlurnen gerufen werden, noch umzukehren ist, bleibt offen. „Wir sind optimistisch“, heißt es bei den großen Parteien im Europäischen Parlament.

Wofür die Rechtspopulisten in Europa stehen

Frankreich: Fremdenfeindlich und nationalistisch – das trifft auf den Front National zu, der zur stärksten Kraft werden könnte. Sein Ziel: Die EU grundlegend umbauen. Außerdem will er aus dem Euro aussteigen. Österreich: Die Freiheitliche Partei (FPÖ) tritt gegen Masseneinwanderung ein und fordert Quoten für Ausländer. Großbritannien: Die United Kingdom Independence Party (UKIP) hat ein Ziel: Austritt des Landes aus der EU. Niederlande: Geert Wilders will mit seiner „Partei für die Freiheit“ (PVV) die Einwanderung begrenzen. Er propagiert den Austritt aus der EU. Belgien: Der „Vlaams Belang“ (Flämische Belange) strebt nach Unabhängigkeit Flanderns. Seine zentrale Botschaft: Stopp der Einwanderung, Abgrenzung von anderen Landesteilen. Finnland: Aus den „Wahren Finnen“ wurden inzwischen „Die Finnen“. Sie dringen auf eine Reform des Asylrechts und Einwanderungsquoten – vor allem für Menschen aus dem Osten der EU. Dänemark: Die „Dänische Volkspartei“ setzte schon einmal die Wiedereinführung der Grenzkontrollen durch. Sie besteht auf strikter Isolation und einem Einwanderungsstopp. Italien: Auch die geschwächte Lega Nord spielt weiter eine Rolle. Ihr zentrales Anliegen ist ein Zuwanderungsstopp für Muslime sowie ein Aufnahmestopp für Afrikaner, die über das Mittelmeer ins Land kommen. Griechenland: Die „Goldene Morgenröte“ gilt als extremistische, gewaltbereite Gruppierung. Das Ziel: Loslösung von der EU, Abschaffung des Euro, Wiedereinführung der Drachme, Ausweisung aller Flüchtlinge. Deutschland: Die „Alternative für Deutschland“ (AfD) macht Stimmung gegen den Euro und auch gegen Zuwanderung. Text: Drewes

 
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