Mit der Europäischen Union ist es so eine Sache. „Die EU hat doch in Wahrheit 29 Mitglieder“, witzelt ein Gast im Tagungsfoyer der Würzburger Residenzgaststätten: „28 Staaten – und Bayern“. Nun, vielleicht würde Bertram Brossardt dem Herrn sogar insgeheim zustimmen. Der Chef der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) ist ja eine Art Chef-Lobbyist des Freistaats. Und Gastgeber der vbw-Podiumsdiskussion mit dem Thema „Starke Regionen in Europa – Starkes Bayern, starkes Europa“.
Brossardt legt denn auch sofort vehement los. Bayern müsse als wirtschaftlich starke Region auch in Brüssel politisch Einfluss nehmen, fordert der Chef des Mega-Verbands, der Unternehmen mit rund 3,3 Millionen Mitarbeitern vertritt, „Europa ist nur dann stark, wenn seine Regionen stark sind“. Er sei „Pro-Europäer“, sagt er, das bedeute aber nicht, „dass man dumm ist“. Denn bisweilen sei einfach nicht nachzuvollziehen, was da an Vorschlägen und Gesetzen aus Brüssel komme. Die EU mische sich schlicht in zu viele Dinge ein, kritisiert der vbw-Chef – und lästert über Krümmungsvorschriften für Südfrüchte: „Vom Bananen-Zeug soll man die Finger lassen.“ Dennoch sei die EU „eine Erfolgsgeschichte“. Gut zwei Wochen vor der Europawahl appelliert er daher, am 25. Mai an die Wahlurne zu gehen. „Wir dürfen“, mahnt Brossardt, „die EU nicht den Skeptikern überlassen.“
Die vbw hat geballte EU-Kompetenz aufs Podium gesetzt. Gleich mehrere EU-Abgeordnete diskutieren mit Brossardt über die Europäische Union – und die besondere Rolle Bayerns. Dabei zeigt sich: Europapolitik, das ist offenbar vor allem Wirtschaftspolitik. Und so bestimmt vor allem das geplante Freihandelsabkommen mit den USA (das sogenannte TTIP) die Debatte.
CSU-Spitzenkandidat Markus Ferber versucht am Beispiel des umstrittenen Abkommens zu verdeutlichen, „wie mächtig das Europäische Parlament ist“. So habe man etwa vor vier Jahren die ursprüngliche Version des SWIFT-Abkommens – bei dem es um den Austausch von Zahlungsverkehrsdaten mit den USA geht – verhindert. Das zeige, versichert Ferber, „wir dürfen internationale Abkommen ablehnen“.
Doch der Augsburger ist Europaprofi, sitzt seit mittlerweile 20 Jahren im Parlament. Und so weiß er, wie er Parlamentarismus und Parteilinie unter einen Hut bekommen kann. Von Moderator Markus Bornheim zur Haltung der CSU zum TTIP befragt, kommt von Ferber ein klares „Ja, aber“. Man müsse den „Europaplan“ seiner Partei schon genau lesen. „Wenn bestimmte Bereiche nicht nachverhandelt werden, werden wir nicht zustimmen.“ Ein Abkommen, „bei dem nur Schiedsgerichte entscheiden, kommt für uns nicht infrage“. Es dürfte keine Hintertür geben, „um europäisches Recht auszuhebeln“.
Grünen-Europaabgeordnete Barbara Lochbihler positioniert sich bei TTIP entschiedener. Das Abkommen beeinflusse den Alltag, mahnt sie, „wir werden anders leben“. So seien etwa die Standards in Europa höher. Sie nennt krebserzeugende Chemikalien, die in den USA erlaubt seien. Wenn 88 Prozent der Deutschen, zitiert sie eine Umfrage, keine gentechnisch veränderten Lebensmittel wollten, „dann darf man dies nicht ignorieren“. Man müsse die Verhandlung in der jetzigen Form stoppen, fordert die Allgäuerin. Das Interesse der Öffentlichkeit jedenfalls sei sehr hoch, „die Leute wissen, um was es geht“.
Man könne bestimmte Dinge bei TTIP „den Leuten einfach nicht vermitteln“, kritisiert auch Iris Wrede. Die Aschaffenburgerin ist für die erkrankte SPD-Europaabgeordnete Kerstin Westphal eingesprungen. Europa sei ein begehrter Markt, sagt Wrede, da könne man schon selbstbewusst auftreten und klar machen, dass man Maßstäbe habe, „die wir nicht aufgeben dürfen“.
„Der Binnenmarkt ist ja bereits eine riesige Freihandelszone“, wirft Nadja Hirsch ein. Daran sehe man doch, wie sehr Freihandel die Wirtschaft belebe. Die FDP-Europaabgeordnete aus München befürchtet, dass die allzu negative Stimmung gegenüber TTIP dazu führen könne, „dass es schlussendlich nicht zustande kommt“. Sie sorge sich allerdings tatsächlich um den Bereich Datenschutz, sagt sie, hier sehe sie eine echte Gefahr für die deutsche Wirtschaft.
Das ist Bertram Brossardt alles zu negativ. „Die USA sind doch keine Bananenrepublik“, poltert er: „Bevor wir überhaupt an den Katalysator gedacht haben, war er dort schon Pflicht.“ Von europäischen Schutzvorschriften allerdings dürfte man nicht abweichen, das wolle er gern einräumen. Betont aber auch, dass die USA der wichtigste Handelspartner der bayerischen Wirtschaft sei, „das dürfen wir nicht gefährden“.
Doch eigentlich soll es ja heute um Europa gehen. Und wie heißt es in der vbw-Einladung? Zwei Drittel der bayerischen Exporte gehen in den europäischen Binnenmarkt, „in eines der 28 Mitgliedsländer der EU“. Dann also doch: 28 EU-Mitglieder einschließlich Restdeutschland – versorgt vom Freistaat Bayern.