
Er ist der „bergische Jung“. Beim Kölner Karneval bringt Willibald Pauels Menschen zum Lachen. Irgendwann war es bei dem Clown vorbei mit der guten Laune. „Wenn dir das Lachen vergeht“ lautet der Titel seines gerade erschienenen Buches. Darin beschreibt Pauels, wie er seine Depression überwunden hat und seinen Umgang mit dem „schwarzen Hund“.
Es sei sehr wichtig, dass Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, auch offen über ihre Depression sprechen, sagt die Würzburger Professorin Katharina Domschke. Noch immer seien psychische Erkrankungen mit einem Tabu belegt. Für die stellvertretende Direktorin der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Universitätsklinikums und Leiterin des Würzburger Bündnisses gegen Depression stehen Aufklärung und Prävention an erster Stelle. Zum Europäischen Depressionstag an diesem Donnerstag informiert Domschke über eine Volkskrankheit, über die in der Bevölkerung noch immer viel Unwissen und Irrtümer verbreitet sind.
Psychische Erkrankungen sind immer noch mit einem Stigma behaftet. Bei organischen Erkrankungen zögern dagegen die wenigsten Menschen, zum Hausarzt zu gehen. Dabei ist es enorm wichtig, dass eine Depression frühzeitig behandelt wird. Viele Betroffene verschweigen jedoch lieber ihre Probleme und versuchen, selbst herumzulaborieren – was kaum gelingen kann. Noch besser ist es natürlich, wenn die Depression erst gar nicht zum Ausbruch kommt. Denn sie beeinträchtigt das Leben sehr.
Die Zahlen sind alarmierend: In Deutschland erkranken jährlich etwa 4,9 Millionen Menschen, in Europa 30 Millionen; das entspricht einem Bevölkerungsanteil von sieben Prozent. Aufgrund einer hohen Dunkelziffer schätzt man die Gesamtzahl der Betroffenen sogar auf 50 Millionen. Depressionen zählen zu den zweithäufigsten chronischen Erkrankungen. Sie sind die teuersten Erkrankungen auf neuropsychiatrischem Gebiet. Das spiegelt sich auch im Gesundheitssystem in den hohen Arbeitsausfallkosten oder bei der Zahl der Frühverrentungen wider.
Eine Depression hat viele Gesichter, sie kann sich schleichend entwickeln oder plötzlich auftreten. Unterschieden werden drei Hauptsymptome. Sie müssen mindestens zwei Wochen anhalten. Dazu zählt die Antriebslosigkeit. Schwer Depressive haben ein Morgentief und zum Beispiel nicht die Kraft aufzustehen, sich zu duschen oder die Haare zu waschen. Ein weiteres Hauptsymptom ist eine tief sitzende Interessen- und Freudlosigkeit: Betroffene kann nichts von ihrem Tief ablenken. Sie ziehen sich zurück, vernachlässigen Hobbys, sind leicht überfordert. Drittes Hauptsymptom ist Niedergeschlagenheit beziehungsweise Traurigkeit: Manche Depressive können aber nicht mal mehr weinen, sie fühlen sich innerlich leer, wirken wie versteinert.
Der häufig verwendete Begriff Nebensymptome wird der Schwere der Symptome nicht gerecht. Neben den Hauptsymptomen gibt es weitere häufige Erkennungsmerkmale, die die Beeinträchtigung durch die Erkrankung erheblich mitbedingen. Dazu zählen kognitive Symptome wie schwere Konzentrations- und Merkfähigkeitsstörungen sowie Gedächtnisstörungen. Aber auch vegetative Symptome wie Rücken- oder rheumaähnliche Schmerzen, Gewichtsverlust, wenig Appetit, ausgeprägte Einschlaf- und Durchschlafstörungen können Anzeichen einer psychischen Erkrankung sein.
Über sexuelle Lustlosigkeit zu sprechen, ist für viele Menschen ebenfalls ein Tabu.
Störungen in der Sexualität werden meist nicht mit einer depressiven Episode in Verbindung gebracht, sind aber entscheidende Symptome. Es ist deshalb wichtig, über das Tabuthema Libidoverlust zu reden. Wenn im Leben der Antrieb fehlt, dann auch im sexuellen Bereich. Das Gefühl der Liebe kann vermindert sein, dadurch auch die Kommunikation und der Kontakt zwischen den Partnern. Wenn die Depression nicht erkannt wird, dann gefährdet das die Partnerschaft sehr.
Es heißt, Frauen haben zwei- bis dreimal häufiger Depressionen als Männer. Ob das tatsächlich zutrifft, ist nicht eindeutig geklärt. Es gibt Hinweise, dass es bei Frauen biologische Risikofaktoren für eine Depression gibt, etwa Gene, die mit Östrogen interagieren. Auch nach einer Geburt kann es wegen hormonellen Belastungen zur postpartalen Depression kommen, zur sogenannten Wochenbettdepression. Dann empfinden Frauen keine Liebe für ihr Kind, aber große Schuld. Das lässt sich gut behandeln – man muss nur wissen, dass es so etwas gibt. Generell gesehen, sind Frauen eher bereit über ihre Gefühlslagen zu sprechen als Männer. Sie können beschreiben, dass sie niedergeschlagen oder antriebslos sind und gehen häufig auch damit zu ihrem Arzt. Männer beklagen eher Konzentrationsstörungen und Rückgang von Leistungsfähigkeit. Das Hilfe-Suchverhalten ist bei Männern auch anders. Sie reagieren auf depressive Verstimmungen oft mit Aggressionen, sie treiben mehr Sport oder trinken als Selbstmedikation Alkohol. Dann besteht zusätzlich die Gefahr einer Suchterkrankung.
70 Prozent aller Suizide lassen sich auf Depressionen zurückführen. Das heißt im Umkehrschluss: 70 Prozent aller Suizide lassen sich verhindern, wenn die Depression erst gar nicht entsteht oder sie schnell behandelt wird. Der Gedanke an eine Selbsttötung kommt auf, weil bei einer schweren depressiven Erkrankung fast wahnhafte Überzeugungen entstehen können; etwa, dass man verarmt oder große Schuld hat. Darin zeigt sich der Ausdruck einer tiefen Verzweiflung. Aber auch in diesen schweren Fällen ist Hilfe möglich, um wieder Licht ins Dunkel zu bringen.
Die Depression ist zu etwa 30 bis 40 Prozent genetisch bedingt. Neben diesen biologischen Faktoren gibt es Umweltfaktoren, die das Erkrankungsrisiko erhöhen. Dazu gehören traumatische Erfahrungen, Stresssituationen wie ständiger Zeitdruck oder Mobbing am Arbeitsplatz, ebenso Arbeitslosigkeit beziehungsweise der Verlust der Tagesstruktur und Kontakte zu Kollegen, aber auch die Trauer über den Verlust eines nahen Angehörigen oder die Pflege eines behinderten Kindes. Ein anderer relevanter Risikofaktor ist ein verschobener Schlafrhythmus, etwa bei Schichtarbeit oder Jetlag bei häufigen Flugreisen.
Sind Depressionsgene bereits identifiziert und können „ausgeschaltet“ werden?
Wir forschen an der Uniklinik, welche Gene Depressionen auslösen können, wobei wir nicht von Depressionsgenen sprechen können. Es müssen Hunderte Gene zusammenkommen, damit sie eine Depression auslösen. Erst ein paar davon sind identifiziert. Jedes dieser Gene erhöht das Erkrankungsrisiko nur um ein bis zwei Prozent. Bessere Aussagen kann man über klinisch-genetische beziehungsweise biologische Faktoren treffen. So ist die Wahrscheinlichkeit höher, an einer Depression zu erkranken, wenn man bereits eine Angsterkrankung hatte. Die Angsterkrankung ist die Zwillingsschwester der Depression.
Burnout ist nichts anderes als eine Depression, denn er hat die gleichen Symptome. Burnout bezeichnet eine Erschöpfungsdepression. Der Begriff wird jedoch leichter in den Mund genommen als das Wort Depression. Das liegt womöglich daran, dass das „Ausgebranntsein“ ja beinhaltet, dass jemand für etwas gebrannt hat, und dass er wieder entzündbar ist für etwas. Das ist ja im Grunde genommen etwas Positives, gerade für Menschen, die sehr leistungsorientiert sind. Wenn man Menschen in Führungspositionen jedoch sagt, sie haben eine Depression, dann fürchten sie den Gesichtsverlust. Gerade bei Männern geht das häufig einher mit dem Gefühl des Totalabstiegs.
Aktuell wird an der Würzburger Klinik in enger Kooperation mit Haus- und Allgemeinärzten in Unterfranken eine von der Europäischen Union geförderte Studie geplant mit dem Namen „PREDICT“. Über einen einfachen neuropsychologischen Test – das Bewerten von emotionalen Gesichtsausdrücken – soll die Therapie einer Depression gesteuert werden.
Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?
Der erste Schritt ist der Besuch beim Hausarzt und die genaue Schilderung des Gemütszustandes. Bei leichteren Episoden genügt oft eine Krankschreibung, ein Urlaub, das Erlernen von Entspannungsübungen oder auch eine psychotherapeutische Behandlung. So bekommt man die Verstimmung schnell nach ein paar Wochen wieder in den Griff. Das ist in der Regel auch bei mittelschweren Depressionen der Fall. Die Therapie besteht aus einer durch einen Facharzt oder Psychotherapeuten begleiteten Therapie sowie Medikamenten. Schwere Depressionen können stationär für fünf bis sechs Wochen in der Klinik behandelt werden. Generell lautet die Botschaft: Es gibt erfolgreiche therapeutische Maßnahmen und Strategien gegen eine Depression.
Antidepressiva haben bei vielen Menschen einen schlechten Ruf.
Antidepressive verändern die Persönlichkeit nicht. Sie machen weder manisch noch traurig und auch nicht abhängig. Antidepressiva sind chemische Substanzen, die gezielt und individuell differenziert eingesetzt werden. Die Wirkung tritt nach etwa zwei Wochen ein. Benzodiazepine gehören dagegen zu den Psychopharmaka, die abhängig machen. Sie werden deshalb nur kurzfristig bei Akutfällen und nur unter ärztlicher Kontrolle eingesetzt.
Die schlechte Versorgungslage bei psychischen Erkrankungen ist lange bekannt. Vor allem auf dem Land ist die Situation dramatisch. Für psychisch Erkrankte ist allerdings eine wohnortnahe Behandlung für die Gesundung wichtig. Patienten sollten deshalb einen Hausarzt, Psychiater oder Psychotherapeuten in der Nähe haben.