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Europa und Asien verbunden
Das Marmaray-Projekt Jetzt gibt es eine durch- gehende Bahnverbindung von London nach China. Sie wurde nun am Bosporus eröffnet.
Unterm Meer: An dem Rohrtunnel unterhalb der Meeresenge Bosporus wurde jahrelang gearbeitet.
Foto: dpa | Unterm Meer: An dem Rohrtunnel unterhalb der Meeresenge Bosporus wurde jahrelang gearbeitet.
Von unserem Korrespondenten Gerd Höhler
 |  aktualisiert: 24.05.2022 09:40 Uhr

Schon Abdülmecid II., der letzte Kalif des osmanischen Reiches, träumte Ende des 19. Jahrhunderts von dem Projekt. Jetzt ist es so weit: Am Dienstag wurde in Istanbul der erste Eisenbahntunnel unter dem Bosporus eröffnet. Er dient nicht nur dem Personennahverkehr zwischen dem europäischen und dem asiatischen Teil der Mega-Stadt, sondern ist Teil einer neuen Eisenbahnverbindung für den Güterverkehr zwischen Westeuropa und dem Fernen Osten. Das Projekt heißt Marmaray – ein Kunstwort, das sich vom Marmarameer und „ray“ ableitet, dem türkischen Wort für Schiene.

Staatspräsident Abdullah Gül, Regierungschef Recep Tayyip Erdogan und fast das ganze Kabinett waren zur feierlichen Eröffnung des Tunnels am 90. Jahrestag der Gründung der türkischen Republik erschienen. Aus Tokio reiste der japanische Ministerpräsident Shinzo Abe an, da der Tunnel von einem türkisch-japanischen Firmenkonsortium gebaut wurde. Auch Regierungsvertreter vieler Nachbarländer kamen zur Eröffnung. Das zeigt, dass der neue interkontinentale Tunnel Bedeutung weit über Istanbul hinaus hat.

Erste Pläne für einen Tunnel unter der Meerenge gab es bereits 1891. Damals beauftragte Abdülmecid II. französische, britische und amerikanische Ingenieure mit Studien. Doch der Kalif kapitulierte vor den technischen Herausforderungen und den immensen Kosten des Projekts. Erst Anfang der 1990er Jahre kam das Vorhaben wieder auf die Tagesordnung. Im Mai 2004 legte Ministerpräsident Erdogan den Grundstein. Technisch anspruchsvoll und teuer ist das Projekt auch heute noch. Der Tunnel wurde aus versenkbaren, an Land vorgefertigten Elementen gebaut. Die eigentliche Bosporus-Unterquerung ist 1,4 Kilometer lang. Sie gehört zu einem Tunnelsystem von insgesamt 13,6 Kilometern Länge mit drei unterirdischen Bahnhöfen. Umgerechnet 3,3 Milliarden Euro wird das Projekt im Endausbau kosten.

Zu den besonderen Herausforderungen gehörte es, die Doppelröhre, die 56 Meter unter der Meeresoberfläche liegt, so zu konstruieren, dass sie schweren Erdbeben widerstehen kann. Denn ganz in der Nähe verläuft unter dem Marmarameer eine aktive Bruchzone, die vor 14 Jahren der Nordwesttürkei eine schwere Erdbebenkatastrophe bescherte. Der Tunnel soll Beben bis zur Stärke 9 standhalten und werde „der sicherste Platz in Istanbul“ sein, versichert Verkehrsminister Binali Yildirim.

Eigentlich sollte der Tunnel schon 2009 eröffnet werden. Die Verzögerung geht vor allem auf das Konto archäologischer Funde, die immer wieder zu Baustopps führten. So entdeckten die Archäologen bei den Ausschachtungen am europäischen Ufer einen Hafen aus byzantinischer Zeit und die Reste von 30 Schiffen. Andere Ausgrabungen beweisen, dass Istanbuls Stadtgeschichte nicht 6000 Jahre zurückgeht, wie bisher angenommen, sondern 8500 Jahre.

Marmaray verbindet die S-Bahn-Systeme beiderseits des Bosporus' miteinander. Die Kapazität des Tunnels liegt bei 1,5 Millionen Fahrgästen pro Tag. Dauert bisher die Fahrt auf einer der Bosporus-Fähren mindestens 20 Minuten, kommt man künftig in vier Minuten von einem Ufer zum anderen. Noch entfallen nur knapp vier Prozent des Personenverkehrs in der 15-Millionen-Stadt Istanbul auf die Schiene. Künftig sollen es fast 30 Prozent sein. Erstmals wird es nun auch eine direkte Schienenverbindung vom europäischen Teil der Türkei nach Anatolien geben. Dank neuer Hochgeschwindigkeitstrassen wird die Zugfahrt von Istanbul nach Ankara nur noch drei statt sechs Stunden dauern.

Marmaray ist aber auch die erste direkte normalspurige Schienenverbindung zwischen Europa und Asien. Damit gibt es nun eine durchgehende Bahnverbindung von London bis nach China. Auch der historische Orient-Express, der bisher im Bahnhof Sirkeci auf der europäischen Seite endet, könnte künftig wirklich in den Orient fahren. Wichtig ist die neue Transportachse aber vor allem für den interkontinentalen Güterverkehr. Die aufstrebenden Länder Mittelasiens rücken damit näher an Europa heran. Die dank Marmaray möglich gewordene Bahnverbindung folgt der Route, die einst die Karawanen nahmen – eine neue Seidenstraße.

 
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