Jeder hat mal einen schlechten Tag, auch Topdiplomaten. Immerhin weiß man nun, was die wichtigste Europa-Beauftragte der USA von der Brüsseler Ukraine-Politik hält: „Scheiß auf die EU“, hat Victoria Nuland in einem Telefonat mit dem US-Botschafter in Kiew geäußert, und Geoffrey Pyatt antwortete: „Genau.“
Nuland ist Assistant Secretary of State und im Außenministerium für Europafragen zuständig. Die vertrauliche Konversation sorgt für Aufsehen, seit am Donnerstag ein Mitschnitt auf dem Internetportal Youtube bekanntgeworden ist. Die 52-Jährige hat sich für ihre Wortwahl entschuldigt, aber darum geht es inzwischen gar nicht mehr: Wie, so fragt man in Washington, konnte das Gespräch abgehört werden? Und wer könnte ein Interesse daran haben, den Westen durch eine Veröffentlichung zu spalten?
Link zur Aufnahme getwittert
In dem vierminütigen Telefonat besprechen Nuland und Pyatt den Konflikt zwischen dem ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch und der Opposition. Nuland informiert Pyatt von der Bereitschaft des US-Vizepräsidenten, die Verhandlungen zu unterstützen, zudem wolle die Uno einen Vertreter entsenden. „Das wäre eine großartige Hilfe, um diese Sache zu kitten“, sagt Nuland. „Und weißt du, scheiß auf die EU.“ („Fuck the EU.“).
Der Satz ist offensichtlich dem Frust über das zögerliche Vorgehen der Europäischen Union geschuldet. Im Fall von Gewalt gegen Demonstranten drohen die USA mit Sanktionen gegen ukrainische Regierungsmitglieder, so weit ist die Europäische Union bislang nicht gegangen. Auch im Streit um ein Handelsabkommen mit Kiew hat sich die Europäische Union aus Sicht der USA zu defensiv verhalten. Russland bekämpft eine solche Partnerschaft energisch.
Eine Sprecherin des Außenministeriums in Washington bestritt die Authentizität der Aufzeichnung am Donnerstag nicht. Nuland habe sich bereits bei EU-Vertretern entschuldigt, sagte Jennifer Psaki. Sie habe keine Informationen über den Urheber des Mitschnitts, kritisierte aber Russland dafür, ihn beworben zu haben. „Ich denke, das sagt etwas über Russlands Rolle aus“, erklärte auch der Sprecher von US-Präsident Barack Obama, Jay Carney. Das Telefonat war von einem unbekannten Nutzer unter der russischen Überschrift „Marionetten von Maidan“ hochgeladen worden. Der Ausdruck ist eine Bezeichnung für die Proteste auf dem Maidan-Platz in Kiew, deren Teilnehmer in Russland als Handlanger des Westens gesehen werden. Pünktlich zu Nulands Besuch in der ukrainischen Hauptstadt hatte ein Mitarbeiter von Russlands Vizepremier am Donnerstag einen Link zu der Aufnahme getwittert.
Eine Sprecherin von Bundeskanzlerin Angela Merkel nannte Nulands Beleidigung am Freitag „absolut inakzeptabel“. Moskau dürfte der Mitschnitt aber auch deshalb gelegen kommen, weil er russische Vorwürfe zu stützen scheint: Obamas Europa-Beauftragte und der US-Botschafter tauschen sich über die Zukunft der Ukraine auf eine Weise aus, die Außenstehende an ein Mafia-Hinterzimmer gemahnen kann. Für die Beteiligten benutzen sie dabei saloppe Kurznamen.
„Ich denke, wir sind gut im Spiel“, eröffnet Pyatt den Dialog. Die Amerikaner halten es für keine gute Idee, die beiden Oppositionsführer Arseni Jatsenjuk („Jats“) und Vitali Klitschko („Klitsch“) in einem Kabinett zusammenzubringen. Sie favorisieren Jatsenjuk für den Posten des Premierministers und glauben nicht, dass Klitschko als Vize mit ihm zusammenarbeiten könnte. „Ich denke nicht, dass Klitsch Teil der Regierung sein sollte“, sagt Nuland. Pyatt dankt ihr, dass sie Jatsenjuk bereits entsprechend bearbeitet habe; die beiden einigen sich, Klitschko ein Gespräch mit Nuland anzubieten. Die Aufnahme soll Ende Januar entstanden sein.
Washington: Kein Skandal
Am Donnerstag hatte Sergej Glasjew, ein führender Kreml-Berater, den USA erneut vorgeworfen, Demonstranten in Kiew mit Geld und Waffen zu unterstützen. Die Krise in der Ukraine war im vergangenen Herbst eskaliert, als Präsident Janukowitsch die Verhandlungen um eine Handelspartnerschaft mit der EU plötzlich einstellte, um einer entsprechenden Offerte aus Moskau nachzugeben. Russland hatte zuvor mit Handelssanktionen gedroht und ein Darlehen von 15 Milliarden Dollar in Aussicht gestellt. Angesichts der Massendemonstrationen und finanzieller Gegenangebote der EU hängt der Streit nun in der Schwebe.
In Washington kann man in dem Telefonat keinen Skandal erkennen. „Es sollte keine Überraschung sein, dass es fortdauernde Diskussionen über aktuelle Ereignisse und Angebote gegeben hat“, sagte Außenamtssprecherin Psaki. Die „New York Times“ schrieb, Nuland habe bei einem Anruf in der Ukraine eher amüsiert als zornig gewirkt. Botschafter Pyatt postete ein Foto der beiden, auf dem sie lachend die Twittermeldung aus Moskau studieren.
Mitschnitte und Mikropannen
Mikrofonpannen und heimliche Mitschnitte haben schon manche Staatsmänner in Erklärungsnot gebracht. Ronald Reagan: Vor einer Radioansprache scherzt der damalige US-Präsident im Jahr 1984, die USA hätten die Sowjets gerade für „vogelfrei“ erklärt. „Wir beginnen in fünf Minuten mit der Bombardierung.“ Dass er schon mitgeschnitten wird, ahnt er nicht. Zwei Jahre später zieht Reagan über Reporter her. Über die Lautsprecheranlage hören die noch ein ärgerliches „Hurensöhne“. Barack Obama: Am Rande des G-20-Gipfels 2011 in Cannes lästert der US-Präsident mit Frankreichs Premier Nicolas Sarkozy über Israels Ministerpräsidenten. „Ich kann ihn nicht mehr sehen, das ist ein Lügner“, soll Sarkozy über Benjamin Netanjahu gesagt haben. Obama habe geantwortet: „Du bist ihn leid, aber ich habe jeden Tag mit ihm zu tun.“ Der Dialog ist nur für Übersetzer bestimmt, kann aber durch einen technischen Fehler auch von Journalisten gehört werden. Gordon Brown: Im Wahlkampf 2010 schimpft der damalige britische Premier über eine Wählerin: „Das war ein Desaster – Sie hätten mich niemals mit dieser Frau zusammenbringen dürfen.“ Was Brown nicht ahnt: Das Mikro eines TV-Senders steckt noch an seinem Hemd. George W. Bush: Am Rande des G-8-Gipfels in St. Petersburg 2006 lästert der damalige US-Präsident bei eingeschaltetem Mikro über langatmige Reden und kritisiert den damaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan. Zum Konflikt zwischen Israel und dem Libanon sagt er, der „Scheiß“ müsse bald beendet werden. Im Jahr 2000 hatte er einen Journalisten vor offenem Mikrofon als „Riesenarschloch“ bezeichnet. Text: dpa