Die überschwänglichen Glückwünsche aus Brüssel blieben aus. Normalerweise gratulieren Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Ratspräsident Donald Tusk immer recht schnell. Doch auch am Montag war bis zum Nachmittag noch kein offizielles Schreiben aus Brüssel verschickt worden. Einzig Manfred Weber (CSU), Vorsitzender der christdemokratischen Mehrheitsfraktion im Europäischen Parlament, gratulierte über Twitter zum „klaren Sieg“ Viktor Orbáns und dessen nunmehr vierten Amtszeit.
Dabei dürfte sich das ohnehin schon angespannte Verhältnis zwischen der EU und Ungarn stattdessen noch deutlich verschlechtern. Orbán hatte in seinen Wahlkampfreden keinen Hehl daraus gemacht, dass er vor allem der Migrationspolitik der EU, aber auch deren geplanten Vertiefung entgegentreten wolle. Das fürchtet auch der SPD-Europaabgeordnete Jo Leinen: „Orbán präsentiert sich als alternatives Modell zu westlichen EU-Mitgliedsländern und trägt bewusst die liberale Demokratie als Monstranz vor sich her.“ Die EU müsse „die Rote Karte“ ziehen und Ungarn in die Schranken weisen, forderte er im Gespräch mit dieser Redaktion.
Seit Monaten laufen mehrere Vertragsverletzungsverfahren gegen Budapest. Im Dezember verwies die EU-Kommission eine ganze Reihe von umstrittenen Gesetzen an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg. Wegen seiner Weigerung, Flüchtlinge nach dem Mehrheitsbeschluss der Innenminister vom September 2015 aufzunehmen, hat die EU-Kommission Ungarn verklagt.
Lange Liste der Vergehen
Zugleich verwies die EU-Behörde das umstrittene Gesetz über Nichtregierungsorganisationen in Ungarn an die Richter, wonach aus dem Ausland finanzierte NGO diskriminiert werden. Auch das Hochschulgesetz, wodurch der internationalen Universität des von Orbán als Staatsfeind betrachteten George Soros das Aus drohte, liegt dem EuGH vor.
Schließlich sollen die Richter auch über das von Menschenrechtsorganisationen stark kritisierte Asylrecht Ungarns entscheiden, das derzeit unter anderem die regelrechte Inhaftierung von Asylbewerbern in abgeriegelten Zonen an der Grenze zulässt und ihnen den Zugang zu rechtskonformen Asylverfahren erschwert.
Bereits an diesem Donnerstag will der dafür zuständige Ausschuss für Justiz und Inneres im Europäischen Parlament deshalb eine Liste der Übertretungen Ungarns erstellen. Bereits im vergangenen Jahr hatte das Parlament eine Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit in Ungarn gefordert. Das Verfahren nach Artikel 7 gilt als schärfste Waffe der Gemeinschaft, die bis zum Stimmrechtentzug im Rat, dem Gremium der Mitgliedstaaten, führen kann.