Die Drähte zwischen Ankara und Brüssel glühen. „Wir reden auf allen Ebenen miteinander“, betonte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini am Freitag in der slowakischen Hauptstadt Bratislava, wo die EU-Außenminister tagten und am Wochenende auch mit Ankaras Europaminister Ömer Celik zusammenkommen. Miroslav Lajcak, der slowakische Außenamtschef, sprach sogar von der „Hoffnung auf Normalisierung“. Tatsächlich gebe es Bewegung, bestätigten EU-Diplomaten.
Am Donnerstag hatte Parlamentspräsident Martin Schulz, einer der lautesten Kritiker des türkischen Staatschefs Recep Tayyip Erdogan, mit eben diesem Machthaber zusammengesessen und ihm – offenbar in enger Abstimmung mit Bundeskanzlerin Angela Merkel – bestätigt, es sei „beeindruckend, wie sich die Menschen in der Türkei dem Militär in den Weg gestellt haben“. Eine Anerkennung, die offenbar wie Balsam wirkte. Neue Töne auf vielen Kanälen. Inzwischen wird sogar ganz offen darüber gesprochen, dass Ankara bereit sei, sich auch bei der umstrittenen Terror-Gesetzgebung zu bewegen – dem wohl größten Hindernis auf dem Weg zu einer Visaliberalisierung. „Die Türken sind sich völlig bewusst, dass sie alle 72 Bedingungen erfüllen müssen“, bestätigte der Chef des Auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament, Elmar Brok, in Bratislava.
In Brüssel scheint man durchaus gewillt, Ankara über den geplanten Beginn im Oktober hinaus mehr Zeit einzuräumen, um die umstrittenen Regeln EU-konform umzuarbeiten. Doch sollte Ankara auf Großzügigkeit der EU hoffen, sei das ein „Irrtum“, hieß es nahezu einhellig bei den Außenministern. Mehr noch: Wenn die Staats- und Regierungschefs der 27 Mitgliedstaaten (sie tagen ohne Großbritannien) in zwei Wochen in Bratislava zusammentreffen, wird man wohl erst noch den österreichischen Wunsch nach Abbruch der Beitrittsverhandlungen für Ankara vom Tisch wischen müssen. Diese formellen Aufnahmeverhandlungen sind Bestandteil des Flüchtlingsdeals, an dem offenbar die Türkei ebenso deutlich festhält wie die EU. Aber für ein Aus der Gespräche für eine Vollmitgliedschaft gibt es keine Mehrheit, nicht einmal eine kleine. Im Gegenteil: Einige Staaten unterstützen in diesen Tagen offen den Vorschlag von Schulz, ein neues Kapitel zu eröffnen und über Rechtsstaat und Meinungsfreiheit zu reden.
Zuckerbrot und Peitsche – das scheint die Linie der Gemeinschaft zumindest vor laufenden Kameras zu sein. Hinter verschlossenen Türen „machen wir strikt klar, wo die Türkei sich ändern muss, ehe es weitere Zusagen gibt, aber man redet deutlich offener und freundlicher miteinander“, sagte ein hochrangiges Mitglied des Auswärtigen Dienstes der EU. „Die Signale stehen zwar noch nicht auf Grün, aber ganz sicher wieder auf Gelb.“ In der kommenden Woche reisen EU-Chefdiplomatin Federica Mogherini und Erweiterungskommissar Johannes Hahn nach Ankara. Offiziell gehe es lediglich um eine „Bestandsaufnahme“ über Fortschritte und ungelöste Probleme in den Verhandlungen. Inoffiziell aber scheint längst klar zu sein, dass die EU und die Türkei wieder aufeinander zugehen. Optimisten halten sogar einen Durchbruch noch in diesem Jahr für möglich.