
Es war ein schwarzer Tag für Europa. Noch am Morgen hatte Federica Mogherini, die Außenbeauftragte der Gemeinschaft, an die schreckliche Tragödie am 18. April 2015 erinnert. „Vor genau einem Jahr sind im Mittelmeer über 700 Menschen ertrunken. Heute retten wir dort Leben, nehmen Schlepper fest und zerstören ihre Schiffe.“
Doch nur wenige Stunden später stellte sich heraus, wie falsch diese Bilanz war. Italiens Außenminister Paolo Gentiloni musste seinen 27 EU-Amtskollegen bei ihrem Treffen in Luxemburg bestätigen, dass „wir es genau ein Jahr nach der Tragödie in libyschen Gewässern wieder mit einer Tragödie zu tun haben“.
Dabei wussten die Außenamtschefs auch vorher schon, dass sie sich dringend mit der Entwicklung in dem nordafrikanischen Staat befassen müssen. Nach den Berichten der vergangenen Tage, denen zufolge rund 200 000 Menschen in Libyen auf eine Überfahrt nach Europa warten, drängt die Gemeinschaft darauf, den Auftrag der Marine-Einheiten im Mittelmeer auszuweiten. „Im Augenblick haben wir nur ein Mandat, gegen Schlepper vorzugehen und zur Seenotrettung“, sagte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier. „Dass darüber hinaus in Zukunft mehr nötig und sicher auch möglich sein wird, ist keine Frage“, betonte er weiter.
Doch Libyen gilt unter den europäischen Diplomaten als heißes Pflaster, in das man sich nur begrenzt einmischen dürfe. „Ich hoffe, dass wir weitere Schritte gehen und Fortschritte machen, damit sich die Situation in Libyen verbessert und stabilisiert“, bekräftigte Frankreichs Außenminister Jean-Marc Ayrault. Nach dem Sturz des einstigen Machthabers Muammar al-Gaddafi 2011 entbrannte ein Bürgerkrieg. Inzwischen gibt es zwar, was viele als großen diplomatischen Erfolg bewerten, eine Einheitsregierung. Aber deren Wirkungsbereich umfasst kaum mehr als die Hauptstadt Tripolis. Ohne Anerkennung durch das international anerkannte Parlament im ostlibyschen Tobruk fehlt der Führung aber die Legitimation. Für die EU bedeutet das nicht zuletzt, dass ihr der Gesprächspartner für Initiativen zur Verhinderung einer neuen Fluchtwelle über das Mittelmeer fehlt.
Die Minister denken deshalb mehrgleisig: Zum einen solle ein neuer politischer Vorstoß unternommen werden, um das Land im Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS) zu unterstützen.
Zum Zweiten solle die Rechtsstaatlichkeit verstärkt werden. Darüber hinaus wird erwogen, die Marine-Einheiten der Nato sowie die übrigen Schiffe der beteiligten Küstenwachen verstärkt einzusetzen, um das gegen Libyen verhängte Waffenembargo durchzusetzen, damit sich der IS nicht auf diesem Weg immer neu munitionieren kann. „Die Mission muss noch effektiver werden“, erklärte Londons Außenamtschef David Lidington, der heute nach Tripolis reisen wird.
Konkrete Beschlüsse wollten die 28 Minister am Montag noch nicht fassen. Aber auch das hänge, so wurde dabei betont, wesentlich damit zusammen, dass die libysche Einheitsregierung noch nicht in der Lage sei, entsprechende Beschlüsse mitzutragen.
Die sind aber nötig – wenn es beispielsweise darum geht, die Schlepper schon in den Hoheitsgewässern des Landes zu schnappen.