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Brüssel
EU-Steuerpolitik künftig mit Mehrheitsbeschlüssen?
Detlef Drewes
Detlef Drewes
 |  aktualisiert: 27.01.2019 02:30 Uhr

Wenn Bundesfinanzminister Olaf Scholz nach dem Reformstau in der EU gefragt wird, zitiert er gerne ein Beispiel aus der Umsatzsteuer. Er könne niemandem außerhalb der Union erklären, sagte der SPD-Politiker in dieser Woche in Berlin, „warum wir ewig gebraucht haben, damit für E-Books dieselben Mehrwertsteuersätze gelten wie für herkömmliche Bücher“. Tatsächlich hatten die Mitgliedstaaten fast zwei Jahre darum gerungen, damit E-Books nicht länger mit dem für den Internethandel geltenden Umsatzsteuersatz (in Deutschland 19 Prozent) belegt werden, sondern wie herkömmliche Bücher nur mit dem ermäßigten Satz von sieben Prozent.

Die Mitgliedstaaten sollten sich nicht länger „reflexhaft“ verweigern, wenn darüber diskutiert werde, „ob wir behutsam auch in Teilen des Steuerrechtes zu Mehrheitsentscheidungen übergehen können“, sagte Scholz am Dienstag. Am selben Tag eröffnete der für Währungsfragen zuständige EU-Kommissar Pierre Moscovici eben diese Diskussion: „Die Einstimmigkeitsregel im Steuerbereich erscheint zunehmend als politisch anachronistisch, rechtlich problematisch und wirtschaftlich kontraproduktiv“, sagte er in Straßburg, wo das Europäische Parlament in dieser Woche tagte. Mit anderen Worten: Die Einstimmigkeitsregel muss weg. Sie soll durch eine qualifizierte Mehrheit ersetzt werden. Dann wäre eine Reform bereits beschlossen, wenn 55 Prozent der Mitgliedstaaten, die 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren, zustimmen.

Tatsächlich wäre dieser Weg eine Lösung. Denn die Regierungen müssen in jedem Jahr mit Milliardenausfällen rechnen, weil Steuerschlupflöcher nicht geschlossen werden können und Praktiken zur Steuervermeidung nach wie vor grassieren. Die Finanztransaktionssteuer liegt auf Eis. Es sind zwar nur elf Staaten, die sie einführen wollen, aber alle 28 müssen zustimmen. Ein häufiger Fall. Besonders gravierend, so sagen Experten, ist die Blockade zur Einführung einer gemeinsamen Berechnungsgrundlage für die Körperschaftssteuer.

Um Spekulationen gleich einen Riegel vorzuschieben, betonte Moscovici, dass er „die Zuständigkeiten der EU im Bereich der Besteuerung nicht ändern“ wolle. Das „Recht der Mitgliedstaaten, nach eigenem Ermessen Einkommensteuer- und Körperschaftssteuersätze festzulegen“, werde Brüssel nicht antasten. Dennoch weiß der EU-Kommissar, dass sein Vorschlag im Vorfeld der Europawahl zwar überzeugend klingt, aber seine Zeit brauchen wird. Denn die Mitgliedstaaten müssten selbst das Ende der Einstimmigkeit beschließen, mit der sie ihr Veto-Recht aus der Hand geben – eine Art steuerpolitische Entmündigung.

Und auch die Bundesregierung, die das Ende der Einstimmigkeit gemeinsam mit Frankreich in der Erklärung von Meseberg 2018 gefordert hatte, bremst hinter den Kulissen: Deutschland würde es gar nicht gerne sehen, wenn es im so wichtigen Finanzministerrat von anderen überstimmt werden könnte. Das Parlament drängt dagegen auf mehr Beweglichkeit in der Steuerpolitik. Markus Ferber, CSU-Europa-Abgeordneter und Finanzexperte seiner Fraktion, sagte gegenüber unserer Zeitung: „Wenn nicht einige wenige Mitgliedstaaten auf der Bremse gestanden hätten, gäbe es heute schon die Finanztransaktionssteuer und eine gemeinsame Bemessungsgrundlage für die Körperschaftssteuer.“ Anders gesagt: „Mit einem vernünftigen Entscheidungsverfahren wäre der Binnenmarkt heute ein gutes Stück weiter.“

 
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