Bis zur letzten Minute hatten Umweltverbände und Landwirte gekämpft, damit sich das Schicksal der Kartoffel Linda nicht wiederholt. Doch als EU-Gesundheitskommissar Tonio Borg am Montag in Brüssel seinen Entwurf für eine neue Saatgut-Verordnung präsentierte, war klar: Um die Zukunft von Löffelkraut, Bohnensorten wie „Wölle-Pitter“ oder dem seltenen „Glasfleiner“-Apfel dürfte es schlecht bestellt sein.
Während Linda vom Züchtungskonzern Europlant vor einigen Jahren vom Markt genommen worden war und erst nach heftigen Protesten vom Bundessortenamt wieder zugelassen wurde, könnte die neue Verordnung der EU für traditionelle Obst- und Gemüsesorten das endgültige Aus bedeuten. Denn die Kommission will den Grundsatz „Es darf nur gesät werden, was vorher zertifiziert wurde“ durchsetzen. „Das ist ein Schlag ins Gesicht all jener Züchter und Bauern, die sich seit Jahren um mehr Artenvielfalt im Acker-, Obst- und Gemüseanbau kümmern“, sagte der Grünen-Europa-Abgeordnete Martin Häusling. Und auch sein CSU-Kollege Albert Dess, im Europa-Parlament so etwas wie der Agrar-Papst, reagierte mit den Worten: „Der Tausch und Verkauf von alten und seltenen Saatgutsorten an die Endnutzer muss auch weiterhin frei erfolgen können.“
Genau das sieht Kommissar Borg durch seinen neuen Vorschlag gewährleistet. „Wir erhöhen die Verwaltungslast für traditionelle Nischensorten nicht, wir senken sie.“ Der Verband Deutscher Pflanzenzüchter begrüßte die Vorschläge. „Man sieht Saatgut seine Ertragsfähigkeit, Krankheitsresistenz und Qualität nicht an“, kommentierte der Verband. „Deshalb müssen die Sorten und das Saatgut vor dem Verkauf getestet werden.“
Eine Ausnahme plant die Kommission für private Kleingärtner: Sie dürfen künftig selber züchten und untereinander tauschen. Aber ein Gartenbaubetrieb, der mehr als zehn Mitarbeiter beschäftigt und dessen Jahresumsatz zwei Millionen Euro übersteigt, unterliegt als gewerblicher Händler dem Zertifizierungsverfahren. „Damit werden Erzeuger regionaler Sorten und vor allem ökologische Anbauer in eine Nische abgedrängt oder zu Hobbyzüchtern degradiert“, meinte Häusling.
Noch drastischer fällt das Urteil der Kampagne für Saatgut-Souveränität aus. Sie nennt die Verordnung „schlimmer als befürchtet“. Wer alte Sorten bewahren wolle, müsse hohe Auflagen beachten. Das mache die Zucht teuer und nicht mehr rentabel.
Die neue Verordnung bewirke die „Privatisierung der Saatgutzulassung. Das würde dazu führen, dass sich die Konzerne ihre eigenen Sorten selbst bewilligen.“
Schließlich will Brüssel die amtliche Überwachung stärker auf „wichtige Aufgaben“ konzentrieren. Die normale Kontrolle solle mit eigenen Kräften erfolgen. Große Saatguthersteller kontrollieren sich selbst, für die kleinen Betriebe sind amtliche Prüfer zu stellen – auf Kosten der Mitgliedsstaaten, die die Übernahme der Kosten bisher ablehnen. Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) kündigte an, sich für mehr Ausnahmen von der generellen Verordnung einzusetzen.