
Der Klimaschutz hat höchste Priorität - beim Petersberger Klima-Dialog am Montag und Dienstag in Berlin, beim EU-Gipfel in rumänischen Sibiu in der Vorwoche. Wo steht die EU eigentlich? Wie viel ist schon beschlossen? Und gibt es Verständnis für den Weg Deutschlands? Im Interview äußert sich der für Klima-Fragen zuständige EU-Kommissar Miguel Arias Cañete.
Miguel Arias Cañete: Im vergangenen November hat die Europäische Kommission ihren Vorschlag für eine strategische, langfristige Vision für eine florierende, moderne, wettbewerbsfähige und klimaneutrale Wirtschaft bis 2050 vor unter dem Titel „A Clean Planet for all“ gelegt. Dieses Strategiepapier stellt eine Vision vor, wie Europa den Weg zur Klimaneutralität ebnen kann, indem es in realistische, technologische Lösungen investiert, die Bürger befähigt und die Maßnahmen in Schlüsselbereichen wie Industriepolitik, Finanzen oder Forschung aufeinander abstimmt - und gleichzeitig soziale Gerechtigkeit für einen gerechten Übergang gewährleistet.
Cañete: Die langfristige Strategie zielt nicht darauf ab, detaillierte Ziele zu setzen, sondern eine Vision zu entwerfen und Orientierung zu geben, diese zu planen und zu inspirieren sowie Interessengruppen, Forschern, Unternehmern und Bürgern gleichermaßen die Möglichkeit zu geben, neue und innovative Industrien, Unternehmen und Arbeitsplätze zu entwickeln. Eine Vision für eine moderne, saubere und prosperierende Wirtschaft. Das soll eine Art Reiseroute für die EU sein, damit wir die Ziele des Pariser Abkommens erreichen.
Cañete: Das beim EU-Gipfel in Sibiu vorgelegte Papier bestätigt viele der von der Kommission bereits im vergangenen Jahr vorgelegten Initiativen. Bevor wir jedoch neue Ziele festlegen, müssen wir einen klaren Plan ausarbeiten, der sich auf Sofortmaßnahmen konzentriert.
Cañete: Es geht hier nicht um unterschiedliche Wege. Tatsache ist, dass der EU-Gesetzgeber Regelungen verabschiedet hat, die EU-Ziele zur Reduzierung von Emissionen, die Erzeugung sauberer Energie und die Verbesserung der Energieeffizienz bis 2030 festlegen. Diese Ziele, die keine Obergrenzen sind, erfordern dringende und entschlossene Maßnahmen. Wir müssen sofort handeln. Die EU koordiniert die Bemühungen zur Bekämpfung des Klimawandels und muss dies auch weiterhin tun, damit Europa vereint und nicht trennt vorankommt. Es kann verschiedene Wege geben, um zum Ziel zu gelangen, aber das Ziel ist für alle klar. Und die führenden Länder sollten erkennen, dass Frankreich und Deutschland nichts allein bewegen können, aber in Europa bewegt sich nichts ohne Frankreich und Deutschland.
Cañete: Auch hier geht es darum, jetzt mit dem entschlossenen Handeln zur Erreichung der Ziele für 2030 zu beginnen. Je früher die Mitgliedstaaten anfangen, entschlossene Maßnahmen zur Umsetzung der auf EU-Ebene vereinbarten Rechtsvorschriften zu ergreifen, desto besser. Dies wird die EU auf einen unumkehrbaren Weg bringen, der auf Klimaneutralität abzielt. Dies erfordert eine tiefgreifende Modernisierung der europäischen Wirtschaft, und dies wird nur möglich sein, wenn jeder Einzelne seinen Teil dazu beiträgt. Dieser Prozess soll sicherstellen, dass der Übergang sozial gerecht ist und die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Wirtschaft und -Industrie auf den Weltmärkten stärkt, hochwertige Arbeitsplätze und nachhaltiges Wachstum in Europa sichert und gleichzeitig dazu beiträgt, andere Umweltprobleme wie Luftqualität oder Verlust der biologischen Vielfalt anzugehen. Der Weg zu einer klimaneutralen Wirtschaft würde gemeinsame Maßnahmen in sieben strategischen Bereichen erfordern: Energieeffizienz, Einsatz erneuerbarer Energien, saubere, sichere und vernetzte Mobilität sowie wettbewerbsfähige Industrie und Kreislaufwirtschaft. Zusätzlich sind Infrastruktur und Verbundnetze, Bioökonomie und natürliche die Reduktion des Kohlenstoff wichtig. Ebenso wie die CO2-Abscheidung und -Speicherung, um die verbleibenden Emissionen zu reduzieren. Das Verfolgen all dieser Prioritäten würde dazu beitragen, unsere Vision Wirklichkeit werden zu lassen.
Cañete: Im Rahmen des Pakets „Saubere Energie für alle Europäer“ haben sich die Mitgesetzgeber auf ein neues Governance-System für die Klima- und Energiepolitik geeinigt. Die neuen EU-weiten Ziele für erneuerbare Energien (32 Prozent bis 2030) und Energieeffizienz (32,5 Prozent bis 2030) sollen gemeinsam erreicht werden. Zu diesem Zweck erarbeiten die Mitgliedstaaten derzeit integrierte nationale Energie- und Klimapläne, die einen Zeitraum von zehn Jahren ab 2020 umfassen.
Cañete: Die Europäische Union will bei der Modernisierung der Wirtschaft durch die Reduzierung der CO2-Emissionen eine Vorreiterrolle übernehmen. Der Klimawandel ist eine klare und aktuelle Bedrohung, der begegnet werden muss. Die Steuerpolitik ist dabei ein wichtiges Instrument, um zum Erreichen der Energie- und Klimaziele der Union beizutragen und dafür zu sorgen, dass das Energiebesteuerungssystem der Union angemessene Anreize für die Verringerung der Treibhausgasemissionen und die Energieeffizienz bietet. Im November 2018 hat die Europäische Kommission ihre langfristige Strategie für eine klimaneutrale Wirtschaft bis 2050 vorgestellt. Im April dieses Jahres haben wir das Europäische Parlament und den Rat aufgefordert, darüber nachzudenken, wie die Energiebesteuerung besser zu den energie- und klimapolitischen Zielen der EU beitragen könnte. Denn wir wollen Fortschritte in diesen Bereichen. Die derzeitigen Vorschriften für die Energiebesteuerung auf EU-Ebene sind seit 2003 in Kraft und veraltet. Sie stehen im Widerspruch zu den Zielen der Union in den Bereichen saubere Energie, Umwelt und Klimawandel, da das Verursacherprinzip der Verträge nicht vollständig umgesetzt wird. Die Kommission prüft derzeit die Energiesteuerrichtlinie, um zu festzustellen, ob eine mögliche Aktualisierung und Anpassung an die neuen Herausforderungen erforderlich ist.