Zwei Sätze. Mehr hat Ratspräsident Donald Tusk nicht übrig für die Frau, die das Vereinigte Königreich aus der EU führen wird. „Im Namen des Europäischen Rates möchte ich Ihnen gratulieren“, schrieb er in seinem Brief, der mit der Ortsmarke Brüssel überschrieben ist, obwohl Tusk zu diesem Zeitpunkt noch in Peking beim dortigen EU-China-Gipfel verweilt. „Ich freue mich auf eine fruchtbare Zusammenarbeit“, endet der Brief: „Hochachtungsvoll – Ihr Donald Tusk“. Den Schrecken, dass Großbritannien die Gemeinschaft tatsächlich verlassen will, hatte man in Brüssel gerade erst überwunden, da erreichte es am späten Mittwochabend schon die nächste Hiobsbotschaft: Ausgerechnet Boris Johnson, jener polemische Ex-Bürgermeister von London, der sich nach der Brexit-Debatte überraschend von der erwarteten Kandidatur für das Amt des Premierministers ausnahm, wird zum Außenminister in Mays neuem Kabinett.
„Ich habe das für einen Scherz der Social-Media-Community gehalten“, sagte die Grünen-Co-Fraktionschefin Rebecca Harms gestern der Redaktion. Dass jener Mann, der „mit Unwahrheiten über die EU zum Brexit beigetragen“ und international Politiker „brüskiert“ habe, nun Außenminister werde, habe sie „kalt erwischt“. Für die internationale Gemeinschaft sei er eine „Zumutung“, schimpfte Harms.
Ähnlich empört zeigte sich der Fraktionschef der Christdemokraten, Herbert Reul, über die Entwicklungen in London. Eigentlich, beginnt Reul, habe er May für „pragmatisch, sachlich“ gehalten. „Aber ihre Entscheidung, an Schlüsselstellen extrem kritische Brexit-Leute einzusetzen“, habe ihn dann doch zweifeln lassen. Denn neben Johnson als Außenamtschef gehörte auch Liam Fox, nun Handelsminister, zu den Befürwortern des Ausstiegs aus der EU. Mit dem Abgeordneten David Davis hat May einen überzeugten EU-Gegner zum ersten Brexit-Minister des Vereinigten Königreichs gemacht.
„Das Kabinett von Premierministerin May ist ein Spiegelbild des aktuellen Chaos in der Tory-Partei, die das ganze Land mit in den Abgrund reißt“, sagte Udo Bullmann der Redaktion: „Dass nun einige der führenden Köpfe der Leave-Kampagne mit am Kabinettstisch sitzen, ist die Frucht der von Cameron ausgebrachten Saat.“ CDU-Fraktionschef Reul fürchtet, dass das Trio die Verhandlungen mit der EU „noch härter“ machen könnte. Oder aber erleichtern – zumindest, wenn Mays Rechnung aufgeht, die größten Gegner in den Austrittsprozess mit einzubeziehen, um das Ergebnis hinterher besser an das eigene Volk verkaufen zu können.
Seitens der EU aber steht die Position längst fest: „Unnachgiebig“ müsse sie sein, fordert zumindest Reul. Und schnell soll es nun gehen: Das frischgebackene Kabinett habe keinen Grund, „jetzt in die Ferien zu gehen“, stattdessen solle sich May auf die Verhandlungen vorbereiten. Ähnlich sieht es Bullmann, der ein Ende der Unsicherheit fordert: „Die Brexit-Verhandlungen müssen so schnell wie möglich beginnen. Die aktuelle Unsicherheit schadet allen Beteiligten, vor allem aber den Menschen in Großbritannien.“
May jedoch hat angekündigt, sich mit dem Auslösen von Artikel 50, der den Ablauf eines Austritts regelt, Zeit zu lassen – bis Januar, wenn nicht gar noch später. Die übrigen 27 Staats- und Regierungschefs aber fordern wie auch die Kommission und Ratschef Tusk, den Prozess nicht künstlich hinauszuzögern. Für September ist bereits ein informeller Gipfel der 27 Mitgliedstaaten anberaumt – dort dürften sie ihre Forderung nach einem schnellen Verhandlungsbeginn noch einmal bekräftigen. In der Hand aber hat es Premierministerin May. Von unterkühlten Briefen aus Brüssel wird sie sich kaum umstimmen lassen.