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„EU-Asylrecht muss sich ändern“
Miriam Moll
 |  aktualisiert: 12.04.2015 19:20 Uhr

Mit den Unruhen in Syrien durch den Bürgerkrieg und die Terrormiliz IS strömen immer mehr Flüchtlinge nach Europa. Viele von ihnen landen in Bulgarien. Die EU-Abgeordnete Birgit Sippel (SPD) hat sich vor Ort ein Bild gemacht. Unsere Korrespondentin Mirjam Moll sprach mit der Expertin für Innere Sicherheit.

Frage: Seit 2013 suchen jährlich mehr als 10 000 Menschen Zuflucht in Bulgarien – eines der ärmsten Länder der Union. Warum gerade dort?

Birgit Sippel: Viele der Menschen, die nach Bulgarien flüchten, haben kaum Geld. Wer sich kein Flugticket leisten kann, um nach Europa zu fliegen, dem bleibt nur der Landweg. Und der führt von Syrien aus eben über die Türkei nach Griechenland oder eben Bulgarien. Die meisten, die dort ankommen, wollen ja auch gar nicht dort bleiben. Sie haben längst mitbekommen, dass das Land die eigenen Bürger kaum versorgen kann. Aber die Dublin-II-Regeln besagen nun einmal, dass die Menschen dort bleiben müssen, wo sie angekommen sind. Daran sollten wir etwas ändern.

Das Flüchtlingshilfswerk UNHCR hat erhebliche Mängel im Asylsystem Bulgariens festgestellt – von Überfüllung, sanitären Notständen und Versorgungsengpässen ist die Rede. Gleichzeitig gibt es immer noch Länder in der Union, die kaum Flüchtlinge aufnehmen. Wie passt das zusammen?

Sippel: Die bulgarischen Kommunen sind oft überfordert mit der Versorgung der Flüchtlinge. Zusätzlich wird im Sommer ein neues EU-Asylpaket verabschiedet: Darin ist festgelegt, dass Flüchtlinge nicht in Haftanstalten untergebracht werden dürfen, die Kinder in die Schule gehen und Erwachsene Sprachunterricht bekommen sollen, für Jugendliche muss es Freizeitangebote geben. Für Länder wie Bulgarien wird dies schwer umsetzbar sein – während andere EU-Staaten wegen ihrer geografischen Lage kaum Flüchtlinge aufnehmen müssen. Das dürfen wir nicht länger hinnehmen. Ein Verteilschlüssel würde eine gerechtere Verteilung der Flüchtlinge in Europa erlauben. Die EU-Kommission scheint sich nun zumindest Gedanken darüber zu machen, aber ohne die Zustimmung der Mitgliedsstaaten geht es nicht. Diese Debatte müssen wir befeuern – von alleine passiert da nichts.

In Brüssel wird aber auch über Asylzentren auf dem afrikanischen Kontinent nachgedacht. Ist das die Lösung des Problems?

Sippel: Sicher ist es wichtig, auch mit Staaten, mit deren Regierung wir nicht übereinstimmen, einen Dialog zu führen. Doch zum einen stellt sich die Frage, welche Gegenleistung diese Regierungen für ihre Mitarbeit erwarten, zum anderen würden wir mit solchen Asylzentren die Verantwortung für die Flüchtlinge abschieben. Und verlören damit auch die Kontrolle darüber, was in diesen Zentren geschieht und ob Menschen, die Schutz suchen, auch tatsächlich aufgenommen werden. Es ist auch noch völlig unklar, wer diese Zentren finanzieren würde. Dabei zeigen große Camps, die es in Ländern wie Jordanien oder dem Libanon bereits gibt, auf, welche Probleme damit entstehen, wenn Kinder und Jugendliche nicht zur Schule gehen und die Erwachsenen nicht arbeiten können. Denn so haben sie keine Zukunftsperspektive.

Ähnlich scheint es im größten Flüchtlingslager Bulgariens, in Harmanli, zuzugehen. Amnesty International und UNHCR berichten von Rassismus, der immer wieder zu Übergriffen führe.

Sippel: Konflikte gibt es nicht nur in Bulgarien, sondern auch in Deutschland. In Bulgarien sind sie deshalb extremer, weil die Armut der Menschen in der Region ungleich größer ist, als wir uns das vorstellen können. Sie haben keine Arbeit, ihre Häuser sind noch halbe Baustellen, ihre Fahrzeuge selbst gebaute Pferdekarren. Zu sehen, dass zugleich in die Versorgung der Flüchtlinge investiert wird, schafft Unmut.

Im vergangenen Jahr haben 38 500 Flüchtlinge versucht, illegal die türkisch-bulgarische Grenze zu überqueren. Seit dem Bau des Grenzzauns im März 2014 ist diese Zahl stark zurückgegangen. Ist das das Ergebnis des EU-Grenzschutzes?

Sippel: Noch ist der Zaun ja nicht fertiggestellt. Bislang deckt er nur 30 der 105 Kilometer langen Grenze ab. Wenn er fertig wird, kommen natürlich deutlich weniger Flüchtlinge. Dabei müssen wir uns fragen, wie Menschen, die vor einem Bürgerkrieg fliehen müssen, überhaupt noch in die EU kommen können. Darauf haben die Mitgliedsstaaten noch keine Antwort.

Auch der Strom der Flüchtlinge übers Mittelmeer reißt nicht ab. Obwohl die Reise mit dem Ende des italienischen Hilfsprojekts Mare Nostrum und der mit deutlich weniger Mitteln ausgestatteten EU-Nachfolge Triton noch gefährlicher geworden ist. Braucht die Union nicht etwas anderes als eine reine Seenotrettung wie Triton?

Sippel: Menschen aus dem Mittelmeer zu retten, ist das eine. Gleichzeitig gilt es, die Schlepperbanden zu bekämpfen, die aus der Armut der Menschen auch noch Profit schlagen. Doch auch dabei müssen wir die Menschen im Blick behalten, die vor Bürgerkriegen flüchten. Sie haben gar keine andere Chance, nach Europa zu kommen, als einen Schlepper zu bezahlen. Wenn wir uns Menschenrechten verpflichtet sehen, müssen wir darüber nachdenken, welche sicheren Wege in die Union es für diese Flüchtlinge gibt. Kriminalität und organisiertes Verbrechen zu bekämpfen ist gut und schön, aber es ist keine Lösung für diejenigen, die vor Kriegen fliehen. Foto: EU-SPD/privat

Birgit Sippel

Die 55-jährige SPD-Politikerin aus Südwestfalen ist seit 2009 Mitglied des Europäischen Parlaments. Ihre politische Karriere begann sie in der Lokalpolitik, seit Jahrzehnten gehört sie der IG Metall an. In der sozialdemokratischen Fraktion im EU-Parlament ist Birgit Sippel unter anderem Sprecherin im Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres.

 
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