In einer historischen Abstimmung haben die Tunesier Politveteran Béji Caid Essebsi zum Präsidenten gewählt. Wie die Wahlkommission gestern bekanntgab, erhielt der 88-Jährige im zweiten Wahlgang am Sonntag 55,68 Prozent der Stimmen. Sein Herausforderer Moncef Marzouki kam auf 44,32 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag demnach bei rund 60 Prozent. Es war das erste Mal in der Geschichte des nordafrikanischen Landes, dass die Bevölkerung frei und direkt ihr Staatsoberhaupt wählen konnte.
Während Hunderte Anhänger Essebsis ausgelassen in der Hauptstadt feierten, gingen in der verarmten südtunesischen Stadt Hamma am Montag zahlreiche Jugendliche aus Protest auf die Straße. Die Sicherheitskräfte setzten Tränengas ein, um einen Sturm auf die Polizeistation zu verhindern. Die Demonstranten sehen in Essebsi einen Vertreter des früheren, korrupten Regimes.
Der künftige Präsident wird über deutlich weniger Macht verfügen als sein Vorgänger: Die neue Verfassung sieht vor, dass er einen großen Teil seiner Befugnisse an den Ministerpräsidenten abtreten muss. Letzteren allerdings wird höchstwahrscheinlich ebenso wie Essebsi die Partei Nedaa Tounes stellen, die als Sieger aus der Parlamentswahl im Oktober hervorging. Die Partei befindet sich somit in einer Position der Stärke, die bei einigen Tunesiern Ängste vor der Rückkehr eines Ein-Parteien-Staates hochkommen lässt. Nicht zuletzt deshalb, weil Nedaa Tounes von Gegnern immer wieder vorgeworfen wird, ein Sammelbecken für Mitglieder des früheren Regimes um den gestürzten Diktator Ben Ali zu sein.
Essebsi weist derlei Vorwürfe von sich. Er stellte den Tunesiern in Aussicht, die Wirtschaft auf Vordermann zu bringen und den Kampf gegen islamistische Terroristen zu verstärken. Die Erwartungen sind enorm. In den vier Jahren seit der Jasminrevolution gegen Diktator Ben Ali sind Arbeitslosigkeit und Inflation deutlich gestiegen. Insbesondere die Bevölkerung in den Städten des armen Südens zeigt sich desillusioniert. Dass ein 88-Jähriger das Vertrauen der Revolutionsgeneration in die Politik zurückgewinnen soll, sehen viele kritisch. Foto: dpa