Die kriegsverwüstete Metropole Aleppo steht vor einer weiteren militärischen Eskalation. Erstmals flogen russische Kampfjets am Dienstag auch von iranischem Territorium aus Angriffe auf die Stadt. Von der Luftwaffenbasis in Hamedan seien Tu-22M3-Langstreckenbomber und Su-34-Angriffsjets mit voller Bombenfracht gestartet, erklärte das Moskauer Verteidigungsministerium. Man habe fünf große Magazine mit Waffen, Munition und Treibstoff zerstört sowie Trainingscamps in den Provinzen Aleppo und Idlib bombardiert. Dabei sei eine „große Zahl von Kämpfern“ getötet worden.
Ein Rebellenkommandeur in Aleppo berichtete gegenüber Reuters, die Luftangriffe seien in den letzten Tagen noch heftiger geworden. „Es gibt keine Waffengattung mehr, die nicht über Aleppo abgeworfen wurde – Clustermunition, Phosphorbomben und so weiter.“
Der Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), Peter Maurer, nannte die Schlacht um Aleppo „eine der verheerendsten urbanen Konflikte der Neuzeit“. Neben der direkten Bedrohung durch die Kämpfe mangele es an grundlegender Versorgung etwa mit Wasser und Strom. „Niemand und nichts ist sicher. Ständig gibt es Beschuss, mit Häusern, Schulen und Krankenhäusern in der Schusslinie. Menschen leben in einem Zustand der Angst. Kinder sind traumatisiert. Das Ausmaß des Leidens ist immens“, erklärte Maurer, der die Kriegsparteien erneut beschwor, Transporte mit dringend benötigten Lebensmitteln, Medikamenten und Trinkwasser in die umzingelte Stadt zu lassen.
„Human Rights Watch“ warf der syrischen und russischen Luftwaffe vor, mehr und mehr Brandbomben einzusetzen. In den vergangenen Wochen seien diese Waffen mindestens 18 Mal abgeworfen worden – unter anderem über den Städten Aleppo und Idlib, erklärte die Menschenrechtsorganisation.
Russische Langstreckenbomber waren bisher bei ihren Einsätzen über Syrien von Süd-Russland aus gestartet. Ihre Verlegung nach Hamedan verkürzt die Flugzeiten nun um mehr als 60 Prozent. Die russischen Kampfjets mit geringerer Reichweite operierten bisher alleine von dem syrischen Fliegerhorst Hmeimim nahe Latakia aus, der momentan erweitert und zu einem permanenten russischen Stützpunkt ausgebaut wird. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Interfax ließ sich der russische Generalstab vor einigen Tagen von Irak und Iran auch Überflüge von Cruise Missiles genehmigen.
Moskaus Vizeaußenminister Mikhail Bogdanov besuchte am Montag Teheran, wo er „das große gegenseitige Interesse“ beider Seiten an einer engeren Zusammenarbeit im Nahen und Mittleren Osten unterstrich. Zuvor hatten sich Russlands Präsident Wladimir Putin und Irans Präsident Hassan Rowhani in Baku zu einem Gipfel getroffen.
Irans Außenminister Mohammad Javad Zarif reiste nach Ankara, nachdem er mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow zuvor die Verhandlungslinie zu Syrien abgestimmt hatte. Moskau geht nach dem Besuch des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in St. Petersburg davon aus, künftig auch die Türkei stärker in seine Syrienstrategie einbeziehen zu können. Der türkische Regierungschef Binali Yildirim deutete an, Ankara sei zu einer Wiederannäherung an das Assad-Regime bereit und bot Moskau eine engere militärische Zusammenarbeit gegen den „Islamischen Staat“ an.
Im Gegenzug erhofft sich Ankara freiere Hand gegen die kurdischen Unabhängigkeitsbestrebungen. Sollte sich Russland bereit erklären, seine Waffenhilfe für die syrischen Kurden zu reduzieren, könnte Ankara im Gegenzug die Belieferung der Rebellen in Aleppo zurückfahren. „Unsere beiden Länder wollen die territoriale Integrität Syriens schützen“, erklärte vielsagend Ankaras Außenminister Mevlut Cavusoglu.
Im Kampf um Aleppo tragen Russland und der Iran zusammen mit der verbündeten Hisbollah momentan die Hauptlast für das Assad-Regime. Die ausländischen Alliierten sind entschlossen, bis zur Amtseinführung des neuen US-Präsidenten im Januar 2017 die Schlacht um die Stadt mit allen Mitteln für sich zu entscheiden. Die schiitische Hisbollah zog sämtliche verfügbaren Kräfte in der Umgebung der einstigen Handelsmetropole zusammen. Teheran rekrutiert und finanziert nach wie vor Abertausende schiitische Freiwillige aus dem Irak, Afghanistan und Iran. Nach Angaben aus Teheran starben auf dem syrischen Schlachtfeld bisher rund 700 iranische Soldaten und Milizionäre, die Dunkelziffer dürfte höher sein.
Das „International Institute for Strategic Studies“ (IISS) schätzt, dass die Islamische Republik momentan etwa 2000 reguläre Truppen der Al-Quds-Brigaden in Syrien stationiert hat, der für Auslandseinsätze spezialisierten Einheiten der Revolutionären Garden. Hinzu kommen rund tausend weitere Spezialisten und Militärberater.