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PARIS
Es wird einsam um Hollande
Birgit Holzer
 |  aktualisiert: 02.11.2016 03:29 Uhr

Was hat er sich nur dabei gedacht? War François Hollande naiv oder draufgängerisch, als er gegenüber zwei Journalisten der Zeitung „Le Monde“ in einer nun veröffentlichten Serie von 60 Interviews ohne Kommunikationsberater an seiner Seite aus dem Nähkästchen plauderte? Verblüffend offen philosophierte er über politische Freunde und Feinde, seine umstrittenen Entscheidungen und sogar private Liebesgeschichten, mit denen er die Öffentlichkeit doch eigentlich verschonen wollte.

Seit der Veröffentlichung des Buches „Ein Präsident sollte das nicht sagen“ („Un président ne devrait pas dire ça“) nehmen selbst bisherige Weggefährten Abstand von Hollande und seiner allzu freien Rede. „Der Titel sagt bereits alles. Das ist das einzig Interessante an dem Buch“, erklärte der frühere Premier- und heutige Außenminister Jean-Marc Ayrault, eigentlich ein loyaler Vertrauter des Präsidenten. Hollande aber urteilte in dem Interview-Buch über Ayrault, er übe seinen Beruf „ohne übertriebenen Enthusiasmus“ aus.

Über seine Freundin, die Schauspielerin Julie Gayet, sagte der Präsident, sie wäre nur zu gerne die offizielle Premiere Dame an seiner Seite – aber das käme nach dem Trennungsdrama mit seiner vorherigen Partnerin Valérie Trierweiler nicht infrage. Die Justiz nannte er eine „feige Institution“, der Nationalelf empfahl er „Gehirn-Training“ und zum Thema Einwanderung sagte er, Frankreich habe „zu viele Fremde, die nicht hier sein sollten“ – sein linkes Lager hat er damit endgültig verschreckt.

Zwar wiegelt Hollande nun ab, die Worte seien aus dem Zusammenhang gerissen. Es bleibt aber die Frage, warum der im Umgang mit den Medien so erfahrene Staatschef dieses Risiko einging. Denn die Versuche, seine Politik zu erklären, gehen völlig unter in der Empörung über viele respektlose und zynische Aussagen. Es wird immer einsamer um ihn.

Offen erklärte der sozialistische Vorsitzende der Nationalversammlung Claude Bartolone, Hollandes Vorgehen weckte bei ihm „ein großes Bedürfnis zu wissen, ob er wirklich Präsidentschaftskandidat sein will“. Dabei ist es eine Sache, ob der 61-Jährige bei den Wahlen im Frühjahr 2017 erneut antreten möchte – und die andere, ob er es überhaupt noch kann, ohne seine Partei zu sprengen. Bis Dezember muss er erklären, ob er an den Vorwahlen teilnimmt, bei denen die Sozialisten Ende Januar ihren Kandidaten küren. Doch nur noch 14 Prozent der Franzosen sind mit Hollande zufrieden. Dem Politikwissenschaftler Laurent Bouvet zufolge liegt ein einigermaßen achtbares Ergebnis für ihn in weiter Ferne. Das Erscheinen des Buches habe das Fass zum Überlaufen gebracht und eine erneute Kandidatur „objektiv unmöglich“ gemacht.

Dafür wittern andere ihre Chance. Hollandes früherer Zögling und Wirtschaftsminister Emmanuel Macron hat sich bereits aus dem Kabinett und der Partei verabschiedet und bereitet offenbar seine eigene Kandidatur vor, um eine Alternative zum bestehenden Politik-Angebot zu bieten. Für die Vorwahlen bringen sich weitere abtrünnige Ex-Minister wie Arnaud Montebourg und Benoît Hamon in Stellung, die den von Hollande besonders enttäuschten Linksflügel vertreten. Die besten Chancen werden allerdings Premierminister Manuel Valls eingeräumt. Einerseits ebenfalls zornig über den „politischen Selbstmord“ durch Hollandes Plauder-Buch, will Valls andererseits nicht als Königsmörder dastehen und hält sich noch mit Absichtserklärungen zurück.

Doch seine Ambitionen auf das höchste Amt im Staat sind bekannt. Da der 54-Jährige für einen Rechtskurs und eine bei vielen Sozialisten umstrittene „sozial-liberale“ Wirtschaftspolitik steht und Hollandes Bilanz mit vertreten muss, hätte aber auch er Probleme, die gesamte Partei hinter sich zu versammeln. Nach vier Jahren an der Macht scheint sie zerrissen – und dafür verantwortlich ist ausgerechnet Hollande, der immer auf Ausgleich bedachte Konsens-Politiker.

Nur eine Hoffnung bleibt der Linken noch: der ebenfalls desolate Zustand der Opposition. Rechtspopulistin Marine Le Pen dürfte bei den Wahlen zwar ein Rekordergebnis erzielen, doch ihr fehlen Verbündete, um an die Macht zu gelangen. Bei den konservativen Republikanern, die Ende November ihren Kandidaten wählen, scheinen die Rivalen, darunter Ex-Präsident Nicolas Sarkozy und Ex-Premierminister Alain Juppé, bereit zur politischen Schlammschlacht. Wer wird Frankreichs nächster Präsident? Die Frage treibt alle um – und sorgt bereits für Verdruss. Denn es dürfte mühsam werden, die Franzosen wieder mit ihren Politikern zu versöhnen.

 
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