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„Es brennt im Nahen Osten“
Folker Quack
 |  aktualisiert: 09.12.2014 19:04 Uhr

Nächstes Jahr bestehen seit 50 Jahren diplomatische Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Israel. Aus diesem Anlass luden das Institut für Politikwissenschaft und Soziologie der Uni Würzburg und der Verein Würzburger Politikwissenschaftler und Soziologen (WÜPS) den Botschafter des Staates Israel in Deutschland zu Vortrag und Diskussion.

Frage: Herr Botschafter, willkommen in Würzburg, der Heimatstadt von Josef Schuster, dem frisch gewählten Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland. Was erwartet der Botschafter des Staates Israel sich von dem neuen Präsidenten?

Yakov Hadas-Handelsman: Ich wünsche ihm viel Erfolg. Es ist nicht meine Aufgabe ihm Ratschläge zu geben, aber leider ist die Rolle des Präsidenten des Zentralrates seit diesem Jahr viel schwerer geworden. Antisemitismus ist immer schlimm. Schlechter, wenn er im 21. Jahrhundert auftritt, noch schlechter, wenn er in Europa auftritt, aber am schlimmsten ist er, wenn er in Deutschland stattfindet. Wenn Juden in Deutschland Angst haben, sich öffentlich als Jude zu zeigen, beispielsweise durch das Tragen einer Kippa, auch wenn Touristen aus Israel in Berlin angegriffen werden, wenn bei Demonstrationen antijüdische Parolen gerufen werden, dann muss die jüdische Gemeinde reagieren. Die Bundesregierung hat das klar verurteilt, aber Josef Schuster braucht die Unterstützung der deutschen Gesellschaft.

Vorige Woche ist die Regierung in Jerusalem auseinander gebrochen, nachdem Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zwei Minister entlassen hat, die seine Politik heftig kritisierten. Wie schätzen Sie die Situation in ihrer Heimat ein?

Hadas-Handelsman: Für Deutsche ist das schwer zu verstehen, aber in Israel ist es eher normal, dass Minister einer Regierung dieselbe Regierung heftig kritisieren. Premierminister Netanjahu hat nun entschieden, das zu beenden. Meiner Meinung nach ist die Regierung beispielsweise nicht an der Frage der Verhandlungen mit den Palästinensern gescheitert, sondern an sozial-wirtschaftlichen Fragen. Konkret ging es um die Mehrwertsteuerbefreiung beim Wohnungskauf junger Leute. Ich freue mich, in so einem diskussionsfreudigen Staat zu leben. Das Problem ist jetzt, dass sich die Regierung die nächsten drei Monate nur auf den Wahlkampf konzentrieren wird.

Aber die Regierung ist doch an den umstrittenen Plänen von Netanjahu gescheitert, Israel zu einem jüdischen Nationalstaat zu erklären. Es würde die israelischen Araber diskriminieren.

Hadas-Handelsman: Ich kenne den genauen Gesetzestext nicht, keiner außerhalb der Regierung kennt ihn. Israel ist die jüdische Heimat für Juden. Gleichzeitig ist Israel eine Demokratie, in der jeder Bürger – unabhängig davon, ob jüdisch oder nicht – gleichgestellt ist. Die Debatte geht jetzt darum, wie man das am besten formuliert. Es gibt viele in Israel, die nicht ausschließen würden, dass Benjamin Netanjahu dieses Thema bewusst lanciert hat, um die Regierung scheitern zu lassen.

In welche Richtung entwickelt sich jetzt die Politik in Israel? Droht ein weiterer Rechtsrutsch, weil Parteien, die noch rechts von Netanjahus Likud-Block stehen, Stimmen hinzugewinnen.

Hadas-Handelsman: Israel ist eine sehr lebendige Gesellschaft. Entsprechend bunt ist die Parteienlandschaft. Um in Israel eine Regierung bilden zu können, brauchen Sie mindestens vier oder fünf Parteien. Da regiert der Kompromiss. Schimon Peres hat einmal gesagt, Experten können nur die Vergangenheit bewerten. Ich kann nicht voraussehen, was kommt. Aber in Deutschland wird unterschätzt, dass wirtschaftliche Themen bei den Wahlentscheidungen der meisten Israelis eine große Rolle spielen.

Sie waren von 2006 bis 2011 im Außenministerium für den Friedensprozess zuständig. Wird es zwei Staaten und Frieden oder eine neue Intifada geben?

Hadas-Handelsman: Sie wollen schon wieder, dass ich in die Zukunft schaue. Dennoch: Zum einen glaube ich nicht, dass die Palästinenser Interesse an einer neuen Intifada haben. Die Mehrheit will nicht dahin zurück. Aber ein Sprichwort sagt: Der Weg zur Hölle ist mit vielen guten Absichten gepflastert. Das ist das Problem, aber ich bin optimistisch, dass es keine dritte Intifada gibt. Was den Friedensprozess betrifft, hat Ende 2008 der damalige israelische Premier Ehud Olmert Vorschläge für eine Zwei-Staaten-Lösung gemacht mit Jerusalem als Hauptstadt beider Staaten und einem Landtausch, um die Siedlungsfrage zu lösen. Bis heute haben die Palästinenser nicht auf diesen Vorschlag reagiert. Ich weiß nicht, ob sie diesen Konflikt gar nicht beenden wollen oder ob ihnen die Kraft dazu fehlt. Die Kraft, das dann auch gegenüber Kritikern durchzusetzen. Ich kann nur für Israel sprechen: Die jetzt gescheiterte Regierung hat sich klar für eine Zwei-Staaten-Lösung ausgesprochen. Mit einem jüdischen Staat und einem palästinensischen, die friedlich und wirtschaftlich erfolgreich nebeneinander existieren.

Beunruhigt es Sie, dass immer mehr Länder und Organisationen den Palästinenserstaat anerkennen?

Hadas-Handelsman: Das beunruhigt mich sogar sehr. Denn ohne Verhandlungen und Kompromisse wird es vielleicht zwei Staaten, aber niemals Frieden geben. Wenn Israel und die Palästinenser eine Zwei-Staaten-Lösung verhandelt haben, werden wir das erste Land sein, das diesen Staat anerkennt. Wir sind seine Nachbarn, nicht Europa. Ich möchte nochmals betonen, dass Israel nicht gegen einen palästinensischen Staat ist. Im Gegenteil. Wir sind nur gegen die Vorgehensweise der Palästinenser: Sie unternehmen unilaterale Schritte zur Anerkennung Palästinas als Staat in der internationalen Gemeinschaft und das ist kontraproduktiv, weil sie Rückenwind bekommen und dadurch denken, dass sie Verhandlungen mit uns vermeiden können. Frieden und einen unabhängigen palästinensischen Staat wird es nur geben, wenn die Palästinenser mit uns direkt verhandeln.

Wie beurteilen Sie die aktuelle Lage in ihrem Nachbarland Syrien?

Hadas-Handelsman: Es brennt im ganzen Nahen Osten. Syrien, wie wir es kannten, wird es so nie wieder geben. Es wird in unterschiedliche Gebiete, Ethnien und Religionen zerfallen. Das hat Auswirkungen bis nach Würzburg. Nehmen Sie die Flüchtlinge, die wirtschaftlichen Folgen. Der Terror des Islamischen Staats und deren Interpretation von Islam muss uns alle beunruhigen, denn sie wollen ihr Kalifat und ihre Interpretation des Islams weltweit ausbreiten.

Yakov Hadas-Handelsman

Der 57-Jährige ist seit März 2012 Botschafter des Staates Israel in der Bundesrepublik Deutschland. Zuvor war er Botschafter Israels bei der Europäischen Union und der Nato in Brüssel. Fünf Jahre arbeitete Hadas-Handelsman im israelischen Außenministerium als Leiter der Abteilung Naher Osten und Friedensprozess. FOTO: Theresa Müller

 
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