Nach der historischen Zinssenkung der Europäischen Zentralbank (EZB) gehen erste Banken bei den Dispozinsen etwas auf ihre Kunden zu. Doch die leichte Senkung der nach wie vor oft zweistelligen Gebühren fürs Kontoüberziehen geht Kritikern nicht weit genug. „Wir haben viel zu hohe Dispozinsen im Vergleich zum sonstigen Zinsumfeld“, kritisierte Verbraucherschützerin Dorothea Mohn. Zudem befürchtet die Geldanlage-Expertin des Verbraucherzentrale Bundesverbandes (vzbv), dass die Branche den neuen Strafzins für Einlagen der Institute bei der EZB trotz aller Beteuerungen auf Umwegen doch auf die Kunden abwälzen wird.
Die EZB hatte am 5. Juni den Leitzins auf 0,15 Prozent gesenkt. Damit kommen Banken noch günstiger an Zentralbankgeld. Außerdem müssen die Institute künftig 0,10 Prozent Strafzinsen auf Geld zahlen, das sie bei der EZB parken, statt Kredite zu vergeben. Das Bundesverbraucherministerium hatte nach der EZB-Entscheidung die Kreditwirtschaft aufgefordert, die Dispozinsen zu senken.
Einer aktuellen Umfrage unter mehr als zehn Geldhäusern zufolge will etwa die Deutsche Bank zum 16. Juni ihre Dispo-Konditionen um 0,1 Punkte auf maximal 11,8 Prozent je nach Kontotyp kürzen. Bei der Norisbank sinkt der Dispo-Zinssatz von derzeit 11,25 Prozent auf 11,15 Prozent. Bei der Postbank gelten für das Konto „GiroPlus“ künftig 11,95 Prozent statt 12,05 Prozent, für das „GiroExtraplus“ 9,3 Prozent statt 9,4 Prozent. Die Commerzbank verringert demnach für Neukunden die Dispo-Zinsen ab dem 26. Juni um 0,5 Punkte auf 11,4 Prozent.
„Die aktuellen Zinssenkungen sind ein schlechter Witz“, kritisierte die verbraucherpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Nicole Maisch. Kritik kam auch von den Linken. Beide Oppositionsfraktionen fordern gesetzliche Obergrenzen für Dispozinsen. Verbraucherschützerin Mohn sagte: „Vorstellbar wäre ein Wert von sieben Prozent.“
Jahrelanger Kampf
Sparkassenpräsident Georg Fahrenschon verwies darauf, dass die Dispozinsen seit 2008 im Schnitt um rund drei Prozentpunkte gesunken seien. Die Kreditwirtschaft habe also durchaus reagiert. Der Bundesverband der deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken, merkte allgemein an, Kunden hätten in Sachen Kontoführung und Dispokonditionen „die Möglichkeit, unter einer Vielzahl von Angeboten zu wählen“. Genau diese Flexibilität sieht Verbraucherschützerin Mohn nicht. Beim Thema Dispo funktioniere der Wettbewerb nicht: „Die Banken machen sich dabei auch zunutze, dass man ein Konto nicht so einfach wechseln kann wie den Telefonanbieter oder den Energieversorger.“ Seit Jahren kämpfen Verbraucherschützer gegen teils zweistellige Dispozinsen.
Max Herbst von der unabhängigen Frankfurter Finanzberatung FMH, der regelmäßig die Konditionen von Banken vergleicht, erwartet nach der abermaligen Zinssenkung der Europäischen Zentralbank insgesamt keine große Bewegung beim Dispo. Dagegen nahmen Herbst zufolge etliche Institute die Leitzinssenkung zum Anlass, ihre Anlagezinsen zu verringern: „Die EZB hat dafür die Steilvorlage gegeben. Die Institute argumentieren: Die EZB senkt, dann senken wird auch“, sagte Herbst.
Experte Herbst ist überzeugt, dass die negativen EZB-Einlagenzinsen etwa in Form höherer Kreditkosten beim Bankkunden landen werden: „Wer glaubt, dass Banker durch Strafzinsen Verluste machen, der täuscht sich. Irgendwo wird das wieder reingeholt.“ Verbraucherschützerin Mohn geht ebenfalls davon aus, dass der Strafzins „an anderer Stelle eingepreist“ wird.
Inwiefern Banken Leitzinssenkung und negativen Einlagenzins an ihre Kunden weitergeben, sei „geschäftspolitische Entscheidung jedes einzelnen Instituts“, erklärte der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes deutscher Banken, Michael Kemmer.