Der Journalist und Menschenrechtsaktivist Erol Önderoglu vertritt seit 1996 die Nichtregierungsorganisation „Reporter ohne Grenzen“ in der Türkei, beobachtet Prozesse gegen Journalisten und verfasst regelmäßig Berichte zum Stand der Pressefreiheit.
Erol Önderoglu: Ich mache mir große Sorgen darüber, wie das Verfassungsreferendum am Sonntag ausgehen wird. Vor allem darüber, welche Auswirkungen es auf das gesellschaftliche Klima in der Türkei haben könnte. Die Türkei ist schon jetzt ein gespaltenes Land, die Gräben werden sich noch weiter vertiefen. Dabei bräuchte es eine Politik der Aussöhnung.
Önderoglu: Er verfolgt eine Politik der Polarisierung. Das Auseinanderdriften der verschiedenen ethnischen, kulturellen oder politischen Gruppen muss dringend enden. Die heutige Türkei ist polarisierter als jemals zuvor. Und zerbrechlicher.
Önderoglu: Ich glaube nicht, dass sofort danach ein Bürgerkrieg ausbrechen wird. Die Lage wird sich eher Schritt für Schritt verschärfen.
Önderoglu: ... und das bedeutet eine riesige menschliche Katastrophe. Jeder Einzelne von ihnen steckt in einer existenzbedrohenden Krise und ist leicht verwundbar. Dass diese Leute aber zum Mittel der Gewalt greifen würden, das halte ich für sehr unwahrscheinlich.
Önderoglu: Kritische Stimmen, investigativ arbeitende Journalisten, ja Journalismus ganz generell werden keinen Platz mehr in der Türkei haben. Journalisten werden noch stärker unter Druck gesetzt und bedroht. Und schon heute gelten wir Journalisten als Vaterlandsverräter und Terroristen.
Önderoglu: Als er im Februar in Polizeigewahrsam genommen wurde, dachte ich erst, dies sei eine Reaktion auch auf Yücels Berichte über türkische Imame, die in Deutschland für Erdogan spioniert haben. Inzwischen glaube ich, dass Deniz Yücel und viele weitere in der Türkei inhaftierte Journalisten und Intellektuelle Geiseln Erdogans sind.
Önderoglu: Ich wurde im Juni 2016 zehn Tage lang eingesperrt.
Önderoglu: Für mich war meine Verhaftung ein deutlicher Hinweis darauf, dass es nun überaus gefährlich geworden ist, die Meinungs- und Pressefreiheit zu verteidigen. Mir wurde klar, wie viele Kollegen und Menschenrechtsaktivisten Ähnliches erlitten haben. Ich wäre überhaupt nicht überrascht, würde mir so etwas morgen wieder passieren.
Önderoglu: Ich rechne mit einem Urteil noch in diesem Sommer. Und ich bin nicht sonderlich optimistisch. Ich habe kein Vertrauen mehr ins Rechtssystem. Derzeit darf ich mich frei im Land bewegen und die Türkei auch verlassen. Derzeit.
Önderoglu: Nein. Ich glaube fest daran, dass es hier Wichtiges zu tun gibt, und zwar für meine Kollegen einzustehen. Sonst würde ich auch verraten, was ich in den vergangenen Jahrzehnten als Journalist getan habe. Kollegen im Exil leisten wichtige Arbeit, etwa indem sie Medien aufbauen und über die Vorgänge berichten. Es werden aber auch Leute hier vor Ort gebraucht, um denen beizustehen, die Hilfe brauchen.
Önderoglu: Solange meine Familie nicht bedroht wird und nur ich aufgrund meines Berufes in der Schusslinie stehe, solange werde ich mein Bestes geben, um meinen Kollegen zu helfen und die Menschen gut zu informieren. Vor dem Referendum genauso wie nach dem Referendum.
Önderoglu: Ich akzeptiere diesen Gedanken nicht. Ich bin aber vertraut damit, Kollegen zum Gefängnis zu bringen oder von dort abzuholen. Ich habe nichts Verbotenes getan. Und meine Frau unterstützt mich.
Önderoglu: Ich war eine Woche in einem Gefängnis im Zentrum Istanbuls und die restlichen Tage in dem von Silivri, in dem Deniz Yücel jetzt ist. Es war das erste Mal, dass ich im Gefängnis war. Ich wurde etwa zwei Wochen, bevor am 21. Juli der Ausnahmezustand verhängt worden ist, freigelassen. Nach nur zehn Tagen.
Önderoglu: So kann man es nennen.
Önderoglu: Ja, deutlich. Mich durften Anwälte besuchen, man ging in gewisser Weise milde mit mir um. Inzwischen dürfen inhaftierte Journalisten ihre Verteidiger oder Verwandten nur noch für eine Stunde in der Woche sehen. Sie werden von Kameras beobachtet, haben zwei Wächter vor der Zelle.
Önderoglu: Zu wissen, dass wir nicht aufhören werden, für sie zu kämpfen: Das ist meine Botschaft an Deniz Yücel und alle anderen.
Önderoglu: Die Türkei wird von einem zunehmend autoritären System in Geiselhaft genommen. Das Wort Diktatur verwende ich nicht gern. Denn es unterschlägt, dass es ja im Land eine große und mutige Zivilgesellschaft gibt, die ein autoritäres Präsidialsystem nicht akzeptiert.
Önderoglu: Ja, dies kann auf die Agenda kommen. Ihre Einführung ist aber nicht gerade einfach, nicht einmal in der Türkei Erdogans. Würde die Türkei eine Todesstrafe tatsächlich verhängen, würde das zu ihrer Isolation führen. Das Thema Todesstrafe für Stimmungsmache zu missbrauchen, ist etwas anderes.