Das Thema eignet sich nicht gerade zum Amüsement, die Details sind so komplex, dass sogar politische Beobachter mitunter überfordert scheinen. Doch das britische Parlament schaffte es, dass selbst die ernsthaften Debatten um die EU äußerst viel an Unterhaltung zu bieten hatten.
Seit Dienstag vergangener Woche diskutierten die Abgeordneten darüber, ob die Regierung die Kollegen in Brüssel über den Austrittswunsch der Briten unterrichten und damit den Brexit-Prozess gemäß Artikel 50 der EU-Verträge einleiten darf.
Und auch wenn die Abstimmungen mehr Formsache waren, da der Großteil der Volksvertreter bereits im Vorfeld angekündigt hatte, trotz pro-europäischer Einstellung den Mehrheitswillen der Bevölkerung respektieren zu wollen, gaben die Debatten den Abgeordneten dennoch die Gelegenheit, die Tragweite der Brexit-Entscheidung sowie die unterschiedlichen Austrittsmöglichkeiten noch einmal von allen Seiten zu beleuchten. Mehr noch als sonst wurde im Parlament gejohlt, zwischengerufen, schadenfroh gelacht und sogar gepöbelt, auch wenn durch die traditionellen Höflichkeitstitel der Anstand gewahrt wurde.
Manchmal ging es zu wie auf der Tribüne im Fußballstadion, wie selbst John Bercow, der Sprecher des Unterhauses, bemerkte. „Ordnung, Ordnung“, rief er, der so etwas ist wie der Schiedsrichter der Abgeordneten, regelmäßig. „Es herrscht viel zu viel Lärm.“ Die Gemüter waren erhitzt ob der Brexit-Debatten, die überhaupt nur wegen eines Urteils des Obersten Gerichts im Parlament stattfanden. Im Januar verkündeten die höchsten Richter des Landes, dass die beiden Kammern, Unter- und Oberhaus, in das Verfahren um den Start des EU-Austritts eingebunden werden müssen.
Wie erwartet stimmte beim ersten Votum letzte Woche die große Mehrheit für das Gesetz, das Premierministerin Theresa May die Vollmacht überträgt, den Scheidungsantrag von der EU zu stellen. 498 Parlamentarier dafür. 114 dagegen.
Auch bei der finalen Abstimmung am Mittwochabend fiel das Ergebnis deutlich aus. Mit 494 gegen 122 Stimmen erteilten die Parlamentarier der Regierung die förmliche Erlaubnis für den Start des Brexit-Verfahrens, den Premierministerin Theresa May für nicht später als Ende März geplant hat, erhält.
Die Konservative darf das Ergebnis zwar als großen Erfolg verbuchen. Und doch offenbarten die Debatten, wie gespalten das Parlament ist in der Frage, wie der Brexit umgesetzt werden soll. Die Regierungschefin hatte kürzlich angekündigt, um Einwanderung kontrollieren zu können, einen harten Bruch mit Brüssel anzustreben und Großbritannien damit auch aus dem gemeinsamen europäischen Binnenmarkt führen zu wollen. Es wurde als Zugeständnis an die lautstarken Brexit-Hardliner in der eigenen Partei verstanden. Das stößt vielen pro-europäischen Parlamentariern auf, vor allem aus der oppositionellen Labour-Partei. Noch mehr ärgert sie nur, dass ihr Vorsitzender Jeremy Corbyn aus Angst vor Wählerverlusten bei strengstem Fraktionszwang verfügt hat, dass Labour für den Gesetzentwurf stimmen soll, auch wenn die Regierung auf keine Änderungsanträge eingehen sollte.
Drei Mitglieder des Schattenkabinetts sind deshalb bereits zurückgetreten. Seit Monaten bilden die Sozialdemokraten aufgrund interner Querelen keine wirklich effiziente Opposition. Trotzdem wollte May ihren Kritikern zumindest in einem Punkt entgegenkommen und kündigte an, dass die Abgeordneten über den endgültigen Austrittsvertrag abstimmen dürfen, bevor dieser dem EU-Parlament vorgelegt wird.
Zuvor hatten EU-Befürworter in ihrer eigenen konservativen Partei damit gedroht, Änderungsanträge der Opposition zu unterstützen. Doch das vermeintliche Zugeständnis von May wurde von Politikern aller Couleur als „Friss-oder-Stirb-Votum“ kritisiert. Die Opposition hatte vielmehr gehofft, Einfluss auf die EU-Austrittsstrategie der Regierung nehmen zu können. Tatsächlich aber geht es darum, „die EU mit oder ohne einen ausgehandelten Vertrag zu verlassen“, wie Brexit-Staatssekretär David Jones es nannte.